Morenga
eine ausweichende Antwort gebe, ob er etwas zu verbergen habe, warum er gerade das zu verbergen gedenke. Er pochte auf absolute Lauterkeit und Wahrheit im Glauben, der Mensch müsse sich dem Menschen und Gott offenbaren, damit noch in die dunkelste Kammer seines Herzens das Licht der Erleuchtung falle. Da er diese Ansprüche auch an die Oberen seines Ordens stellte, kam es immer wieder zu Spannungen und Reibereien, insbesondere da, wo er Halbherzigkeiten und Trägheiten des Herzens witterte, vom falsch Zeugnis reden ganz zu schweigen. Vor vier Jahren hatte er eines Tages seine Soutane aus- und einen schlichten, grauen Straßenanzug angezogen und das neugotische Kloster bei Köln durch die Hauptpforte verlassen. Er glaubte, man könne zum wahren Christenmenschen nur den machen, dessen Herz noch unverstellt sei. Man müsse nochmals von vorn anfangen. Am besten bei unverbildeten Menschen. Den Wilden. Das Eigenartige war, daß man über Meisels früheres Leben so gut wie nichts erfuhr, einmal davon abgesehen, daß er seinen Orden in Deutschland verlassen hatte. Lag es daran, daß er beständig fragte, oder daran, daß man, beim Beantworten der Fragen mit sich selbst beschäftigt, gar nicht daran dachte, auch Meisel einmal zu fragen? Vermißte Meisel solche Fragen, die ihn betrafen?
Meisel ritt neben Gottschalk. Schon nach wenigen Stunden kam Gottschalk sich wie entkleidet vor. Meisels erste Frage, warum Gottschalk ein Kamel ritt, zog immer mehr Fragen nach sich: Warum wollte Gottschalk eine Kamelzucht aufbauen? Warum war er in dieses Land gekommen? Warum war er nicht verheiratet? Warum wollte er nicht darüber reden? Verberge er damit nicht etwas vor sich selbst? Hat das nicht andere Gründe, die sich Gottschalk nicht einmal selbst eingestehen wolle? Warum diese Scheu, über persönliche Dinge zu reden? Was hatte er zu verbergen?
Es war wie in einem Verhör, und Gottschalk mußte sich beständig rechtfertigen, nicht allein gegenüber Meisel, sondern irrwitzigerweise auch vor sich selbst. In einer Gesprächspause versuchte Gottschalk diesem Gefrage zu entschlüpfen, gleichsam Luft zu schöpfen, und sagte, die Landschaft sei hier wirklich reizvoll.
Da wurde Meisel plötzlich harsch und sagte: Jetzt versuche Gottschalk, Konversation zu treiben. Dann solle man lieber gleich schweigen. Danach starrte Meisel geradeaus und schwieg. Zunächst war Gottschalk über sich selbst erschrocken. Tatsächlich war ihm die Aussicht auf die Landschaft egal, das Gebiet hier war denn auch eher langweilig. Eine Floskel, mit der er das Gespräch hatte entlasten wollen, die aber, ihm als Floskel vorgehalten, eine ganz andere, schwerer wiegende Bedeutung bekam: eine Unredlichkeit, fast eine Lüge. Je mehr sich Gottschalk mit diesem Vorwurf beschäftigte, je länger Meisel strafend schwieg, desto stärker wurde aber auch eine Wut in Gottschalk, die er körperlich zu spüren begann, die sich motorisch umsetzen wollte, eine Wut gegen diesen selbstgerechten Anspruch Meisels, daß man in jedem Augenblick absolut wahr zu sein habe. Eine Zeitlang ritten sie so noch nebeneinander, Meisel auf dem schnelltrappelnden Maultier, um Schritt halten zu können mit dem latschenden Kamel, auf dem Gottschalk hin und her geschüttelt wurde. Bis Gottschalk dieses vorwurfsvolle Schweigen zuviel wurde, er sein Kamel in Trab brachte und den Pater hinter sich ließ.
In den folgenden zwei Tagen, bis zum Überfall auf den Wagentransport, redeten Gottschalk und Meisel nicht mehr miteinander. Während dieser Zeit, insbesondere, wenn der Transport Rast machte, ging Gottschalk dem Pater aus dem Weg, hatte dabei aber beständig ein schlechtes Gewissen, worüber er sich wiederum ärgerte. Jedesmal, wenn Gottschalk Meisel sah (und er sah ihn ständig), hatte er das Gefühl, als müsse er sich bei ihm entschuldigen. Er hätte zugleich nicht einmal genau gewußt, wofür er sich hätte entschuldigen sollen. Dabei bewegte sich Meisel, so schien es zumindest Gottschalk, ganz unbefangen zwischen den anderen Reitern. Redete mit allen, nur eben nicht mit Gottschalk. Irgendwo stellte er irgend jemand seine Fragen. Einen Gefreiten, der gerade sein Gewehr reinigte, fragte er, warum er überhaupt damit auf Menschen schieße, die ihm persönlich doch nie etwas getan hätten. Einen Reiter, der nachts Wache schieben mußte, fragte er, warum er so ängstlich in die Dunkelheit starre. Müsse er etwas verbergen? Und einen Reiter, der gerade half, einen festgefahrenen Wagen aus dem Sand zu
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