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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Ja, richtig, aber Briefe schreiben sei seiner Meinung nach etwas sehr bescheiden in Anbetracht des Ausmaßes von Unrecht, Qual und Tötung.
    Aber immerhin etwas. Besser als herumsitzen und in den Himmel zu gucken. Besser als gar nichts zu tun. Er sei doch damals bei den Aufständischen geblieben, freiwillig. Wollte er damals wirklich überlaufen, was er, Meisel, tatsächlich gedacht habe? Er war sogar überzeugt davon, daß Gottschalk das vorgehabt habe. Das wäre in der Tat ein Zeichen gewesen. Ein Fanal. Ein Beispiel, dem sich andere angeschlossen hätten, möglicherweise. Warum habe Gottschalk dann gekniffen? Warum nicht die letzte radikale Konsequenz? Angst? Oder stimmt das Gerücht, Morenga habe ihn gar nicht mitnehmen wollen? Meisel fixierte Gottschalk, der plötzlich die Beine vom Hocker nahm. Das Geknister seines Stuhls wollte kein Ende nehmen. Und nach einer langen Pause, in der auch Meisel beharrlich schwieg, sagte Gottschalk: Haben Sie einmal beobachtet, wie wir uns durch dieses Land bewegen? Und als Meisel durch ein Stirnrunzeln zu erkennen gab, daß er die Frage nicht verstand: Wir bewegen uns durch dieses Land wie Lahme und Blinde.
    Aber Meisel wollte auf seine Frage eine Antwort haben und keine Gleichnisse. Gleichnisse seien stets Ausflüchte, das wisse er als geübter Bibelexeget.
    Nein, er habe nicht mit Morenga darüber geredet, ob er bleiben solle oder nicht.
    Er sei damals sitzengeblieben aus Neugierde, aber auch, weil er schon früher diese fixe Idee gehabt habe, abzuhauen, ja sogar überzulaufen. Er habe von seiner Absicht aber, als er dann die Aufständischen sah, niemand etwas gesagt und seinen Entschluß immer wieder verschoben. Er war unsicher geworden. Da war, wenn man diese Menschen beobachtete, mit ihnen sprach, sie roch, doch eine Ferne, die ihm nicht überbrückbar schien. Auch wenn er sich sagte, daß mit einem solchen Schritt für ihn alles anders würde, nicht leichter, aber doch wäre er sich dann selbst nähergekommen. Gegen Abend habe das große Fest begonnen. Ochsen wurden gebraten, der erbeutete Wein und Sekt ausgeschenkt. Man aß und trank, man spielte Ziehharmonika und Maultrommel, später wurde gesungen und getanzt. Er habe sich nie so fröhlich, so gelöst gefunden wie an diesem Abend, eine Fröhlichkeit, die aus allen kam, nicht allein durch Suff erzeugt, eine fröhliche Gelöstheit. In ihrem Lachen erkannte er seine Freude, eine bislang ungeahnte Lebensfreude. Alle tanzten, die Aufständischen, die alten und die jungen Weiber, Kinder, Greise. Stellen Sie sich vor, unsere Soldaten würden nach einem anstrengenden Ritt abends feiern, nach einem siegreichen Gefecht, sie kennen diese stumpfsinnigen Besäufnisse, hier aber wurde getanzt. Stellen Sie sich vor, unsere Reiter, Unteroffiziere, sogar die Offiziere würden tanzen. Er, Gottschalk, habe zunächst nur den Takt mitgeklatscht. Dann aber habe er sich dazu hinreißen lassen mitzutanzen. Einen Moment habe er versucht, die Bewegungen Morengas nachzuahmen, der wegen seiner Wunde etwas steifer tanzte. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Er verkrampfte sich regelrecht. Es war sogar entsetzlich lächerlich. Und noch während er versuchte zu tanzen, und trotz seines dunen Kopfes, war ihm klar, daß er nicht würde bleiben können.
    Diese Menschen waren ihm nah und doch zugleich so unendlich fern. Hätte er bleiben wollen, er hätte anders denken und fühlen lernen müssen. Radikal umdenken. Mit den Sinnen denken. So sei er am nächsten Tag mit den Verwundeten auf der Karre nach Heirachabis gefahren.
    Meisel sagte, es sei doch geradezu lächerlich, wegen einer mißglückten Tanzerei auf ein epochemachendes Beispiel zu verzichten, ein Beispiel, wie es Graf York von Wartenburg bei Tauroggen gegeben habe, ach was, mehr noch, wie Saulus, der die Christen hetzte, zu einem Paulus wurde. Gab es da nicht doch noch andere Gründe, die sich Gottschalk nicht selbst eingestehen wolle, Bequemlichkeit, die Trägheit des Herzens, Angst, schlicht Feigheit vielleicht?
    Gottschalk und Meisel zerstritten sich an diesem Tag wieder und diesmal endgültig. Gottschalk unterbrach Meisels Fragerei mit der Bemerkung, er habe einen Entschluß gefaßt, und als Meisel wissen wollte, welchen, da er doch nur herumhocke und Löcher in die Luft gaffe, antwortete Gottschalk knapp, er wolle darüber nicht weiter reden, jetzt, damit keine Konversation entstünde.
    Meisel stand sofort auf und ritt grußlos ab.
    Eigentlich war er gekommen, Gottschalk für das zu

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