Morenga
einen Hinterhalt zu locken.
Gottschalk schloß diese Möglichkeit nicht aus. Was ihn erschreckte, war, daß er mit seiner Aussage zur Vernichtung dieser Menschen hatte beitragen können. Dabei hatte er damit gerade sagen wollen, von welch menschlichen Überlegungen sich die Aufständischen in ihrem Kampf leiten ließen, wenn sie ihre Frauen und Kinder auf englisches Gebiet in Sicherheit bringen wollten. Es hatte ein versteckter Appell an die deutschen Kommandeure sein sollen, in Zukunft wenigstens die Kinder und Frauen zu schonen. Auf die weiteren Fragen des verhörenden Offiziers gab er nur noch zerstreut und unkonzentriert Antworten.
Ein Somnambuler, sagte der verhörende Major, nachdem er Gottschalk hatte abtreten lassen.
Kurz vor seiner Rückreise nach Ukamas ging ein Heliogramm in Warmbad ein, mit der Nachricht: Der Oberveterinär Gottschalk sei wegen seiner Verdienste um den Aufbau einer Kamelreitertruppe zum Stabsveterinär befördert worden. Oberst Dame, der Kommandeur der Schutztruppe, gratulierte.
In Warmbad hatte man Gottschalk auch freudig berichtet, daß sein Unterricht in Tierhygiene bei den Hottentotten die denkbar besten Früchte getragen habe. Die Hottentotten, die er unterrichtet habe, seien so kenntnisreich, daß man sie regelrecht zum Dienst bei der Schutztruppe und bei Farmern im Norden habe pressen müssen. Natürlich seien sie noch immer faul, aber enorm kenntnisreich. Man habe sie daher einfach unter Polizeiaufsicht gestellt und entleihe sie an Privatpersonen für zehn Pfennige pro Tag. Das Geld werde an die Gouvernementskasse abgeführt.
Nach einer geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit schien sich in diesem Lande jeder Versuch Gottschalks, helfend einzugreifen, in sein Gegenteil zu verkehren. In nachdenklicher Bekümmerung ritt Gottschalk nach Ukamas zurück.
Leutnant Gerlich machte Augen, als er Gottschalk allein ankommen sah. Gerlich meinte, Gottschalk müsse wohl schon etwas hottentottisch riechen, sonst hätte er nicht unbehelligt durch das Aufstandsgebiet reiten können. Jeder andere wäre mit tödlicher Sicherheit abgeschossen worden.
Gottschalk hatte sich in Warmbad nach Katharina erkundigt. Aber keiner der dort gefangenen Hottentotten kannte sie.
In Ukamas schrieb Gottschalk ein Gesuch, ihn aus dem aktiven Dienst in der Schutztruppe und aus dem Heer zu entlassen. Er ließ das Gesuch dann aber in einer Mappe liegen. Er überlegte, was er nach dem Ausscheiden aus dem Heer würde tun können. In Deutschland eine Landpraxis eröffnen oder versuchen, an eine Hochschule zu gehen, in die Forschung. Aber es war noch etwas anderes, was ihn zögern ließ, das Gesuch irgendeiner Patrouille mit nach Warmbad zu geben, etwas, was er sich selbst nicht erklären konnte, als warte er auf etwas.
Am Ort gab es fast nichts für ihn zu tun. Hin und wieder impfte er durchkommende Zugochsen aus der Kapkolonie, dann und wann mußte er ein Pferd klistieren oder aber ein krepiertes Rind sezieren, um es auf Milzbrand zu untersuchen.
Oft saß Gottschalk ganze Tage auf der Veranda des Stationshauses, schweigend. Nur hin und wieder knisterte der ausgefranste Korbsessel, wenn er dem Schatten nachrückte. Er saß da, unrasiert, in einer schmuddeligen Khakiuniform, immer noch mit den Abzeichen eines Oberveterinärs, als sei er gar nicht befördert worden, und blickte zum Viehkraal hinunter. Dahinter lag der Kraal der eingeborenen Treiber und Bambusen: Bastards, Buschmänner, Hottentotten, Bergdamaras und aus der Kapkolonie einige Bantus. Gerlich behauptete, daß dieses ganze schwarze und braune Gesindel mit den Aufständischen unter einer Decke stecke. Von denen kämen auch die Angaben über die Truppenstärke und die Gewohnheiten der deutschen Führer. Das Problem sei nur zu lösen, indem man, wie schon beim Eisenbahnbau, ausländische Arbeiter ins Land hole, beispielsweise Italiener. Obwohl auch die unzuverlässig seien, diese Katzelmacher, wie sich jüngst bei einem Streik gezeigt habe.
Neben der Veranda des Stationshauses, ebenfalls im Schatten, lag eine Sau. Sie war das erste Schwein, das Gottschalk im Schutzgebiet zu Gesicht bekam. Abgemagert wie eine Rennsau, war sie den langen Weg aus dem Englischen herübergekommen und hier von einem Sergeanten eingefangen worden. Eine Metallzwinge im rechten Ohr verriet ihre Herkunft aus Pella. Es hieß, ein deutscher Missionar habe vor fünfzig Jahren erstmals ein Schwein ins Land gebracht. Seitdem wurden Schweine in der Missionsstation von Pella gezüchtet.
Weitere Kostenlose Bücher