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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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zerfledderte Heft geben. Es war, ohne Zweifel, dasselbe Heft, in dem Wenstrup während des Ritts gelesen hatte. Als er es dem Wachtmeister reichte, zuckte er nur mit den Schultern.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 13. 1. 1905
    W. in der Erinnerung. Die Bewegung, mit der er ein Streichholz anriß. Die Trauer ist schwarz oder weiß (Indien), man sieht nichts mehr. Man müßte sagen können, wen man mag. Sich öffnen, öffnen, öffnen

    Die Patrouille ritt noch zu vier anderen Kraalen, die alle in der Nähe Keetmannshoops lagen. Der Wachtmeister befragte in einem Kauderwelsch aus Deutsch, Kapholländisch und Nama die Hottentotten. Die Befragten, die artig die Hüte vom Kopf nahmen, behaupteten aber jedesmal, in den letzten Wochen keinen Weißen gesehen zu haben. Es war, als sei Wenstrup kurz hinter Keetmannshoop vom Boden verschluckt worden.

    Übrigens hatte Gottschalk Wenstrup vor dessen Verschwinden nur noch selten gesehen. Sie waren in Keetmannshoop in weit auseinandergelegenen Quartieren untergebracht worden. Wenstrup in einem Zelt mit drei Sanitätsunteroffizieren, Gottschalk mit zwei Assistenzärzten in dem Magazin eines ehemaligen Stores. Daß sie sich nicht sprachen, lag zu einem nicht geringen Teil an Gottschalk, der Wenstrup zwar nicht aus dem Wege ging, aber sich abends meist im sogenannten Tabakskollegium der Schutztruppenoffiziere aufhielt, wo geraucht und getrunken wurde und man sich Geschichten erzählte. (Erst hier gewöhnte sich Gottschalk das Rauchen an.) Wenstrup mied hingegen diesen Kreis. Erst am Heiligen Abend wechselte Gottschalk mit Wenstrup ein paar Worte.
    Am frühen Morgen hatte ein starker Regen eingesetzt, der wie eine warme Brause aus dem Himmel fiel. Gottschalk war aus dem Magazin nackt hinausgelaufen und hatte sich wie die anderen in den Regen gestellt. Man sah auch erstmals den Schweinebauch nackt. Alle starrten ihn überrascht an. Er war auf eine unvorstellbare Weise behaart, schwarz, affenartig.

    Nachmittags begannen die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier. Der Regen hatte aufgehört und eine Schlammlandschaft zurückgelassen. Vor der Kommandantur wurde ein Weihnachtsbaum aufgestellt, eine zurechtgestutzte Tamariske.
    Heute bleibt kein Auge trocken, sagte ein Oberleutnant. Er hatte sich schon die Uniform vollgekotzt.
    Die Träger der deutschen Kultur, sagte Wenstrup, der alle mit einem grauen Chapeau claque überraschte, an den er einen Tamariskenzweig gesteckt hatte. Er begann langsam denen zu ähneln, die zu bekämpfen er hergeschickt worden war.
    Ein Gefreiter begann zu schluchzen und machte die Hottentotten dafür verantwortlich, daß seine Frau in Kiel schon wieder schwanger sei. Der Unteroffizier Rattenhuber berichtete ausführlich von seinem Plan, in drei Monaten, wenn seine Dienstzeit abgelaufen war, sich hier im Lande niederzulassen, allerdings nicht um zu farmen, wie viele andere ehemalige Schutztruppler, sondern um eine Kunsteisbahn anzulegen. Dadurch sollte auch in diesem Lande das Eishockey eingeführt werden, das Rattenhuber schon in seiner Heimatstadt Plattling heimisch gemacht hatte. Er wolle für Südwest einmal das werden, was Klopstock für Deutschland geworden war, nachdem der dort das Schlittschuhlaufen bekannt gemacht hatte. Sicherlich, das wußte auch Rattenhuber, die Bedingungen in diesem Lande waren wesentlich ungünstiger als damals in Deutschland, aber er war überzeugt, diese Schwierigkeiten mit Tatkraft und technischem Wissen, das er sich inzwischen angeeignet hatte, zu meistern. Daß es bis heute nicht möglich ist, in diesem Lande Schlittschuh zu laufen, liegt möglicherweise daran, daß der Unteroffizier Rattenhuber zwei Monate später in einem Gefecht mit den Leuten von Morris gefallen ist.

    Am Abend, nach dem Feldgottesdienst, kursierte während der Weihnachtsfeier im Offizierskasino ein neuer Witz, dessen Urheberschaft einmal Gottschalk und einmal Wenstrup zugeschrieben wurde: Schwanebach, seit fünf Jahren mit einer Baronesse von Behr verheiratet, die sowenig wie er als geistige Leuchte glänzte, hatte drei Kinder, alles Töchter. Kurz vor seiner Ausreise nach Südwest kommt die Frau mit dem vierten Kind nieder, nicht dem erhofften Stammhalter, sondern wieder einem Mädchen. Das Kind soll im Haus getauft werden. Die glücklichen Eltern waren in das Entrée gegangen, um dort den Pastor zu begrüßen. Als sie in das Taufzimmer zurückkommen, ist das Kind aus der Wiege verschwunden. Die Mutter sucht, der Vater sucht, die Taufzeugen suchen,

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