Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
Laubbäumen, immer daran denken, wie sein Atem als Kohlendioxyd von den Blättern aufgenommen und durch Assimilation zu Sauerstoff würde, den er dann bedenkenlos wieder einatme. So sprachen sie plötzlich von der Photosynthese (was den Schweinebauch, der nichts verstand, noch mißtrauischer machte), die in diesem Land mit seinem geringen Baumbestand selten genug vorkam. Dabei hätte Gottschalk so viele Fragen an Wenstrup gehabt. Gern hätte er gewußt, wie der sich den Übergang zu einer anarchistischen Gesellschaft vorstellte. Hatten tatsächlich Anarchisten eine Bombe einfach in die Menschenmenge am Haymarket in Chicago geworfen? Und wie würde eine solche Gesellschaft aussehen? Wer würde die Müllabfuhr organisieren? Er nahm sich vor, dieses Gespräch ein andermal fortzusetzen. Doch sollte es dazu nicht mehr kommen, da sie am anderen Tag, trotz Wenstrups Jodeln, ohne Feindberührung Keetmannshoop erreichten.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 14. 12. 04
    In der trockenen Atmosphäre erscheinen die Sterne näher und leuchtender als daheim. Man glaubt, auf einem Dünenkamm ein Feuer zu sehen, bis es sich von der Erde löst und langsam in die Höhe schiebt: ein aufgehender Stern. Der Orion, bestehend aus sieben hellen, großen Sternen, leuchtet wie das Feuer von Brillanten. Vor uns: das Kreuz des Südens, und darunter hebt sich vom Nachthimmel ein tief schwarzer Fleck ab, der »Kapstadter Kaffeesack«. Ab und zu flammt eine Sternschnuppe auf und zieht mit helleuchtendem Feuerschweif ihre Raketenbahn, scheinbar so nahe, daß man sich wundert, weder die Detonation noch das Zischen zu hören. Was liegt hinter den Sternen? Das Wort unendlich übersetzte Jakobus mit Wolke. Aber das ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Mißverständnis.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 15. 12. 04
    (Keetmannshoop )
    Diese Stadt scheinen sogar die Geier zu meiden. Jakobus zeigte uns die Halbmenschen, eine eigenwillige Baumart, die, in günstigem Licht, tatsächlich wie schwermütige Gestalten dastehen. Sie könnten einmal erlöst werden, aber wie und wann das sein würde, verriet er nicht.
    Er sagte, daß dann dieses Land den richtigen Menschen gehören würde.

    Wenstrup wurde nicht – was Gottschalk erwartet hatte – in Keetmannshoop arretiert. Leutnant von Schwanebach hatte am Tag nach der Ankunft sogleich Meldung gemacht, und der Standortkommandant hatte Wenstrup verhört. Der konnte aber die Anschuldigung, er habe mit seinem Jodeln die Patrouille an den Feind verraten wollen, dadurch entkräften, daß man bei Tage sowieso weiter sehen als hören könne, und außerdem, welchen Sinn ergäbe es, da er sich selbst ja auch mitverraten hätte. Er sei kein Selbstmordkandidat. Auf die Frage, warum er denn überhaupt gejodelt habe, gab er zur Antwort: Um Stimmung unter die Leute zu bringen. Es blieb der Vorwurf eines Wachvergehens und der Insubordination. Damit wollte sich der Major aber nicht beschäftigen. Es gäbe Wichtigeres in der eingeschlossenen Stadt zu tun. Er verwies den Fall an den zuständigen Kriegsgerichtsrat in Windhuk. Die Meldung wurde nach dem Verschwinden Wenstrups nicht weiterverfolgt.
    Am 12. Januar 1905 ritt die Patrouille, die Wenstrup suchen sollte, aus Keetmannshoop ab. Gottschalk hatte sich ihr freiwillig angeschlossen. Man wollte in den umliegenden Hottentottenkraalen nach Wenstrup fragen. Eh nur eine Pro-forma-Sache, sagte der Wachtmeister, der die Patrouille führte. Die Hottentotten in dieser Gegend haben sich aus dem Aufstand herausgehalten, aber darum kann man ihnen erst recht nicht trauen. Wenn es drauf ankommt, halten die alle zusammen wie Pech und Schwefel.
    Der Kommandant der Station Uchanans, ein Sergeant, konnte keine weiteren Angaben als die schon bekannten machen. Wenstrup war hier, an seinem Bestimmungsort, nicht angekommen. Keiner der hier lebenden Hottentotten will ihn gesehen haben. Die Hottentotten verhielten sich in dieser Gegend friedlich. In der letzten Zeit habe es ein Vorkommnis gegeben, meldete der Sergeant, und zwar habe er bei einem Hottentotten ein Heft über Feuerwerkslehre gefunden. Selbstverständlich sei der Kerl nicht in der Lage gewesen, den Inhalt zu begreifen. Er habe es als Fidibus-Sammlung benutzt. Etliche Seiten seien schon herausgerissen gewesen. Der Hottentott erklärte auf Befragung, er habe das Heft einige Kilometer vom Ort entfernt gefunden. Eine Lüge selbstverständlich, und er habe dem Mann zwanzig Schambockhiebe aufbrennen lassen.
    Gottschalk ließ sich das

Weitere Kostenlose Bücher