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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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über den Vorfall zu reden, wie auch den anderen Zeugen.

    Am 15. Januar wurde der Unterveterinär als offiziell vermißt nach Windhuk gemeldet.

Der Prophet

    Gegen Mitternacht, in den ersten Märztagen des Jahres 1904, schleicht ein Mann um die Eingeborenenwerft von Windhuk. Nachdem ihn die Bluthunde gestellt haben, wird er von eingeborenen Polizisten festgenommen. Am darauffolgenden Tag kommt er in das Gefängnis von Windhuk und wird von einem deutschen Polizeisergeanten verhört.
    Der Mann, ein Nama, antwortet auf die Frage, woher er komme, in kapholländisch: Er sei von Gott gesandt. Und auf die Frage, was er hier, in Windhuk, zu tun habe: Er wolle das Evangelium Gottes verkünden. Auf jede andere Frage verweigert er die Auskunft, auch dann, als der Sergeant ihm zehn Stockschläge androht. Er wolle nur mit seinesgleichen reden, wiederholt er mehrmals, womit er, so vermutet der Sergeant, die Sprache meint, da er, obwohl er ganz offenbar Kapholländisch und Englisch versteht, plötzlich nur noch Nama redet.
    Der Sergeant läßt daraufhin nach dem Kirchenältesten der Werft schicken, Daniel Vries, einem Nama aus Bethanien. Auf dessen Frage, wer er sei, antwortet der Gefangene: Ich bin ein Prophet Gottes. Er gibt an, Klaas Shepperd zu heißen und von Port Elizabeth aus der Kapkolonie zu kommen. Auf die Frage, was er im deutschen Schutzgebiet zu suchen habe, teilt er mit, er wolle zu Samuel Maharero, dem Oberhäuptling der Herero.
    Von dem Krieg zwischen den Herero und den Deutschen will er nichts gewußt haben.
    Der Sergeant, der Shepperd für einen Spion der Herero hält, läßt ihm die Taschen durchsuchen. Man findet darin einen Kanten trockenen Brots, Duba, Schefel und Duivelsdreck, asa foetida, wie der Wachtmeister nach Rücksprache mit einem Missionar in das Protokoll schreiben läßt. Shepperd wird wegen Verdachts der Spionage ins Gefängnis abgeführt. Aber nach einem Monat muß er, da ihm keine strafbare Handlung nachgewiesen werden kann und er zudem britischer Untertan ist, entlassen werden. Während seines Aufenthalts im Gefängnis zu Windhuk hatte sich schnell eine merkwürdige Unruhe unter den sonst eher apathischen Gefangenen ausgebreitet. Es kam wiederholt zu Widersetzlichkeiten gegenüber dem Wachpersonal, ja in zwei Fällen sogar zur Arbeitsverweigerung, die mit fünfundzwanzig Rutenschlägen geahndet wurden. Shepperd, der von seinen schwarzen Mitgefangenen Stürmann genannt wurde, hielt jeden Morgen eine Andacht unter den Gefangenen ab, die er selbst Bergpredigt nannte, deren Wortlaut zwar aus dem Neuen Testament, aber eben nicht der Bergpredigt, sondern, nach Angaben des Missionars Wandres, dem Brief des Jakobus entlehnt war.
    Höret zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, daß sie an Glauben reich seien und Erben des Reichs, welches er verheißen hat denen, die ihn lieben?
    Ihr aber habt den Armen Unehre getan.
    Sind es nicht die Reichen, die Gewalt an euch üben und ziehen euch vor Gericht?
    Missionar Wandres von der Rheinischen Mission, dem der Kirchenälteste Daniel Vries am nächsten Tag von der nächtlichen Gefangennahme des Propheten berichtet hatte, wollte noch am gleichen Tag mit Shepperd Stürmann ein Gespräch führen, da er in ihm einen Vertreter der äthiopischen Kirche befürchtete, die unter den Eingeborenen der britischen Kapkolonie eine weite Verbreitung gefunden hatte und sich gegen die europäischen Missionare richtete. Bislang war noch kein Prediger dieser religiösen Bewegung so weit nördlich im deutschen Schutzgebiet aufgetaucht, und Missionar Wandres, seit zwanzig Jahren in Afrika tätig und erklärter Gegner dieser, wie er sie nannte, militanten Sekte, wollte daher die Gelegenheit nutzen, durch ein Verhör in Erfahrung zu bringen, welche Drahtzieher und Geldgeber sich hinter dieser Bewegung verbargen. Da er aber kurzfristig im Auftrag der Rheinischen Mission eine Reise unternehmen mußte, kam es zu dem Gespräch erst Wochen später, und zwar nicht im Gefängnis, sondern (Shepperd war schon freigelassen) notgedrungen im Missionshaus. Wandres hatte Shepperd zu dem Gespräch bitten lassen, der dann auch tatsächlich kam, zerlumpt, aber ohne jede Scheu. Sein Benehmen war, so fand Wandres, eher hochmütig, was wohl seinem religiösen Wahn entsprang. Shepperd Stürmann wartete nicht, wie es der Anstand erforderte, auf die Erlaubnis, sich hinzusetzen, nachdem sich Wandres in seinen Sessel niedergelassen hatte, sondern setzte sich fast zur

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