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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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sehr selten. Aber so weit bekannt, noch nie während eines Eingeborenenaufstands. Wenn man mal von Vermißten absieht. Aber aufständische Eingeborene machten aller Regel nach keinen Unterschied zwischen einem desertierten und einem nicht desertierten deutschen Soldaten. Sie würden beide umlegen. Die Konventionen von Genf seien ihnen unbekannt. Man lachte und fragte, ob Gottschalk überzulaufen gedenke. Was Gottschalk so unverständlich war: daß Wenstrup sich abermals freiwillig zu einer Patrouille gemeldet hatte, die unter der Führung von Leutnant Schwanebach nach Keetmannshoop vorstoßen sollte. Gottschalk war zu dieser Patrouille kommandiert worden, um seine vorgeschriebene Einheit zu erreichen. Wenstrup aber hatte sich gemeldet mit der Begründung, gerade die Versorgungsstaffeln benötigten Veterinäre. Der Nachschub sei doch das A und O jeder Offensive. Tresckow kam, gab Wenstrup die Hand und sagte: Man kann sich doch sehr in einem Menschen täuschen.
    Am 13. Dezember frühmorgens um 5 Uhr brach die Patrouille Schwanebachs von Gibeon nach Keetmannshoop auf. 160 Kilometer sollten in drei Tagen durchritten werden. Der Hottentottenjunge Jakobus ritt auf Vorschlag Wenstrups mit. Oberleutnant Ahrens hatte zunächst Bedenken, aber Wenstrup verbürgte sich für den Jungen. Darüber hinaus sollte ein Unteroffizier mitreiten, der die Gegend kannte.
    Immerhin könnte uns der Bengel ja in einen Hinterhalt locken, sagte Schwanebach.
    Erstaunlich, was dieser Schweinebauch doch für Intelligenzreserven mobilisieren kann, wenn es um seine Schwarte geht, sagte Wenstrup. Sie ritten durch eine flache, fast baumlose Steppenlandschaft. Während Wenstrup seine Aussprache perfektionierte für so langweilige Namaworte wie: Weggabelung, Wegstrecke, rechts und links, vermeiden, ausweichen und umgehen, war Gottschalks ganze Konzentration auf Büsche, Felsbrocken und leichte Bodenwellen gerichtet.

    Erst spätabends, gegen 20 Uhr, ließ Schwanebach die Patrouille halten und absitzen. Der landeskundige Unteroffizier, ein Bayer aus Plattling namens Rattenhuber, empfahl, in dieser Gegend kein Feuer zu machen und sich möglichst leise zu verhaken, da in diesem baumlos flachen Gelände jedes Wort kilometerweit zu hören sei. Gottschalk aß etwas von dem Schiffszwieback. Das Krachen und Knabbern kam ihm plötzlich beängstigend laut vor. Er hatte nie bemerkt, daß das Zwiebackessen derart viel Lärm verursacht. Er trank etwas Wasser und ging zu seinem weidenden Fuchswallach, den er Sumatra getauft hatte, reichte ihm eine Handvoll Maiskörner. Gottschalk hatte sie sich zusätzlich in die Satteltasche gesteckt. Wie ein Pferd getränkt und gefüttert wird, davon konnte, hieß es, bei solchen Ritten das Leben abhängen. Später kam Wenstrup und setzte sich neben Gottschalk. Er zog eine flache silberne Flasche aus seiner Uniformtasche. Die eiserne Ration. Solider französischer Cognac. Nebeneinandersitzend tranken sie, und Wenstrup rauchte. Hier ist, sagte Wenstrup, in Aktion und Gefahr, sogar das Militär erträglicher, und das ist das eigentlich Infame. In seinem alten Regiment habe er einmal vom Fenster aus die Rekruten im Kasernenhof beobachtet, die den Paradeschritt exerzierten. Es war, als sei alles in ein eisiges Licht getaucht, wie die unten die Beine hochrissen und die Arme zur Seite warfen. Wie erstarrt habe er am Fenster gestanden. Es war nicht dieser Widersinn, daß Reiter einen Schritt übten, den sie später nie gebrauchen würden, es war das Monotone, das Maschinenhafte der Bewegung. Es war ein Gefühl der Sinnlosigkeit, und diese Empfindsamkeit übertrug sich jäh auf die alltäglichsten Dinge, das ewige sich An- und Ausziehen, den Stumpfsinn, Hemden und Röcke morgens und abends auf- und wieder zuzuknöpfen. Es war wie ein Erwachen aus einer Bewußtlosigkeit. Da war plötzlich die Frage, warum er sich täglich neu rasiere, eine Frage, die sich mit der Antwort, man rasiert sich, weil man keinen Bart haben will, eben nicht zufriedengibt. Damals sei ihm etwas Wesentliches aufgegangen. Und als Gottschalk nach einer kleinen Pause fragte, was, antwortete Wenstrup, sinnlos ist, wer nicht frei seine Sinnenhaftigkeit ausbilden kann. Darum ist so viel Sinn auf Seiten der Aufständischen.
    Wenstrup mußte die Wache ablösen. Gottschalk las sorgfältig die Steine von der Stelle, wo er schlafen wollte, und wickelte sich dann in seine Decke. Er blickte in den bestirnten Himmel. Als Junge war er gern zu den mit Weidengestrüpp bestandenen

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