Morenga
Rolfs, und wollte sich den Eingriff an der Kuh erklären lassen.
Faulheit und Neugierde sind bei diesen Leutchen reziproke Größen, sagte Haring, während er sich sein Turnertrikot überstreifte, das ihm schlotternd am Leib hing, da er seine ausgestopfte fleischige Fülle in den vergangenen vier Monaten verloren hatte, durch die Zwangsdiät, wie er die unzureichende Truppenverpflegung nannte. Jetzt, braungebrannt und sehnig, wirkte er zehn Jahre jünger und hatte schon ein gutes Dutzend Fotografien in Postkartengröße an seine Frau und an Freunde in die Heimat geschickt. Doktor Haring war während seiner Studienzeit in Tübingen Mitglied einer akademischen Turnerschaft gewesen und trug an Sonntagen sein Couleurband über der Uniform. Er hatte, gleich nach seiner Ankunft in Warmbad, eine Turnerriege gegründet. Nach seinen Skizzen wurde aus einer Teertonne ein Pferd und aus zwei alten Deichseln ein Barren gebaut.
Die Teertonne hatte man mit Sackleinen abgepolstert und dann mit Leder umkleidet und vernäht. Die Barrenstangen waren in tagelanger Arbeit von einem Reiter, der Tischler gelernt hatte, in die richtigen Maße geschnitzt worden, wobei Haring darauf bestand, daß der Feinschliff, wie er das nannte, mit einer Flaschenscherbe ausgeführt werden mußte. Denn ein falscher Schnitt mit dem Messer, und die Barrenstange war versaut. Dann gibt es Blasen an den Händen. Haring hatte anfangs auch Gottschalk überreden können, an der Turnübung teilzunehmen (Mens sana in corpore sano). Aber Gottschalk, der in seiner Schulzeit sogar Vorturner gewesen war, kam sich dann wie in einem Wanderzirkus vor, weil jeder Sprung über das Teertonnenpferd und jede Luftrolle am Deichselreck von den halbverhungerten gefangenen Hottentotten mit Applaus bedacht wurde.
In jener Zeit wurde Johannes Christian, der Häuptling der Bondelzwarts, in Warmbad gefangengehalten. Man hatte ihn mit den meisten seiner Männer noch vor Ausbruch des Aufstandes gefangengesetzt, später aber freigelassen, woraufhin er das machte, was man befürchtet hatte: Er nahm den Guerillakampf gegen die Deutschen auf. Man sprach auf deutscher Seite von einem Versehen. Nach Gerüchten aber soll er kurz vor Mitternacht mit seinen Männern freigelassen worden sein, zu einer Zeit also, in der die Menschlichkeit des Bezirksamtmanns Graf Kageneck ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Kageneck übrigens beteiligte sich zuweilen an den Turnübungen Harings, sofern er sich noch auf den Beinen halten konnte. Eines Tages aber zog er sich schwere Prellungen und eine Platzwunde an der Stirn zu, nachdem er an der Reckstange daneben gegriffen hatte.
Ein Herzenswunsch von Oberarzt Doktor Haring war es, nach der Niederschlagung des Aufstandes (an dessen baldigem Zusammenbruch er niemals zweifelte) im Schutzgebiet ein Turnerfest abzuhalten, wobei die Sieger keine Medaillen und keine Pokale, sondern lediglich einen schlichten Kranz Eichenlaub erhalten sollten.
Was Haring mit Sorge beobachtete, war die merkwürdige Veränderung seines Zimmerkameraden Gottschalk in den Tagen, seitdem er von dem Patrouillenritt zurückgekehrt war. Eine Deformation des Persönlichkeitsbildes, wie er das einmal gegenüber dem Leutnant Wolf bezeichnete. Gottschalk hob nämlich die Hälfte der Komißbrotportion auf, um sie dann, unbeobachtet, wie er glaubte, in das Stacheldrahtlager der Hottentotten zu werfen. Auch war eine gewisse Vernachlässigung seines Äußeren nicht zu übersehen. Er trug ein rotweiß kariertes Hemd unter seiner halb zugeknöpften Khakiuniform. Zuweilen trug er einen schwarzen zivilen Schlapphut. Auch hatte er sich seit jenem Schreck vor dem Spiegel nicht mehr rasiert, was aber nicht so ungewöhnlich war, da es die meisten nicht taten, aus Bequemlichkeit, Wassermangel oder aber auch nur, um sich ein verwegenes Aussehen zu geben. Am auffälligsten aber war, daß Gottschalk sich immer häufiger mit dem braunen Gesindel abgab, mit Küchen- und Ochsenjungen sprach. Ein komischer Kauz, sagte Haring im Kasino, nachdem Gottschalk wieder seinen Sprachunterricht aufgenommen hatte und man ihn abends mit dem Bambusen Rolfs an der Steinmauer beobachten konnte, wie er sich in den Klicklauten perfektionierte. Eine Zeitlang befürchtete Haring, Gottschalk sei womöglich schwul. Ein Gedanke, der ihn peinigte, da er schließlich für längere Zeit mit diesem Veterinär das Zimmer würde teilen müssen. Aber dann wurde Gottschalk mehrere Male mit einer Hottentottin namens Katharina zusammen gesehen,
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