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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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die in der Missionsstation als Diätköchin arbeitete. Das seien die ersten Anzeichen einer beginnenden Verkafferung, sagte Leutnant Wolf im Kasino, gerade an der Widerstandsfähigkeit gegen diesen schwarzen Sog zeige sich Rasse und wahrer Charakter. Bezirksamtmann Kageneck, der das auf sich bezog, befahl (es war erst gegen zwei Uhr nachmittags) Leutnant Wolf, am nächsten Tag mit einer Patrouille die Gegend von Pelladrift aufzuklären. Dort stand, wie man wußte, die Morrisbande.

    Zwei Tage nach jenem denkwürdigen Ereignis, als erstmals in der Geschichte Südwestafrikas eine Embryotomie vorgenommen worden war, entdeckte Dr. Haring am Abend Gottschalk in einem Kreis Hottentotten sitzend. Gottschalk zeichnete mit einem Stöckchen etwas in den Sand und gab dazu Erklärungen, die von der Hottentottin Katharina in Nama übersetzt wurden. Wie entsteht Milch: Zunächst muß die Kuh ordentlich fressen. Das Besondere an ihrer Verdauung ist, daß sie ein Wiederkäuer ist. Sie packt das Gras mit der Zunge, faßt es zu einem kleinen Bündel zusammen, packt es dann mit den Vorderzähnen und reißt es ab. Nur ganz kurz hin und her gekaut, rutscht das Futter in die Mägen: Haube und Pansen, auch Saccus ruminus genannt. (So kam das erste lateinische Wort ins Nama, das sich dann auch über Jahrzehnte in der Gegend von Warmbad halten konnte.) Hat die Kuh genug gefressen, legt sie sich hin und rülpst das Futter wieder hoch. Diesmal wird es richtig gekaut und gut mit Speichel eingemischt. Dieser Brei wird dann nicht in den Saccus ruminus zurückgeschluckt, sondern kommt jetzt in den Blättermagen. Der Blättermagen ist angefüllt mit einer Art Lappen (Gottschalk zeichnete mit dem Stöckchen den Querschnitt des Magens in den Sand), die wie die Blätter eines Buches aufrecht stehen, jeder kennt doch die Bibel, also so, er zog den Kropotkin aus der Tasche und ließ die Seiten am Daumen vorbeiflitzen. Zwischen diesen Blättern wird der Futterbrei zerrieben. Vom Blättermagen gleitet der Speisebrei weiter in den Labmagen, wo dann erst die eigentliche Verdauung beginnt. Der Körper produziert verschiedene chemische Flüssigkeiten, von der jede einen bestimmten Nährstoff aus dem Futterbrei herauslöst. Im anschließenden Dünndarm kommen die Absonderungen von der Galle und der Bauchspeicheldrüse hinzu, die ebenfalls Verdauungsarbeit leisten. Gottschalk zeichnete Galle und Leber in den Sand. Sind die Nährstoffe in die für den Körper richtige Form umgebaut worden, werden sie durch die Darmwand ins Blut aufgenommen. Im Mastdarm bleibt das zurück, was unverdaulich ist. Das gibt dann am Schluß den schönen Kuhfladen.

    Gottschalk begann sich in dieser Zeit mit dem Gedanken zu tragen, eine tierärztliche Fakultät in Warmbad zu begründen. Als er diesen Gedanken dem Oberarzt Haring vortrug, sagte der, gefragt, ob er hin und wieder einmal einen kleinen Vortrag über pharmazeutische Aspekte der Humanmedizin halten könne, lediglich: Ja, ja. Gottschalk behauptete: In solchen Vermittlungsaufgaben von technischem und kulturellem Wissen läge die wahre Funktion und Verantwortung der Kulturstaaten gegenüber einer Bevölkerung, die in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sei. Man könne möglicherweise auch von diesen Menschen etwas lernen. Und als Doktor Haring fragte, was, sagte Gottschalk: Herzensbildung.
    Schon bald tippten sich auch untere Chargen ganz unverhohlen an die Stirn, ging Gottschalk vorbei. Leutnant Wolf behauptete, daß dieses skandalöse Verhalten geduldet würde, sei letztlich nur mit dem ebenfalls skandalösen Verhalten des Bezirksamtmanns Graf Kageneck zu erklären. Es würde Zeit, daß endlich ein frischer Wind hier aufkäme. Was man gerade im Süden brauche, seien Vorbilder, und zwar standhafte.

    Tagebucheintragung Gottschalks am 3. 3. 05
    (Warmbad)
    Kühe ohne Vorderzähne verhungern, auch wenn sie sonst gesund sind. Man muß also einen Zahnersatz schaffen, ein Eisen-, besser noch ein Stahlgebiß, das mittels einer Klammer am Kiefer befestigt werden kann.
    Glücklicherweise ist Konkurrenz weder im Tierreich noch in der Menschheit die Regel. Sie beschränkt sich unter Tieren auf Ausnahmezeiten, und die natürliche Auslese findet bessere Gelegenheiten zu ihrer Wirksamkeit. Bessere Zustände werden geschaffen durch die Überwindung der Konkurrenz durch gegenseitige Hilfe. (Kropotkin)

    Zu dieser Zeit muß Gottschalk angefangen haben, Kropotkins Gegenseitige Hilfe‹ systematisch zu lesen. Allerdings hat Oberarzt Haring

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