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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Frau spielen konnte, und da freute er sich, denn er glaubte, man übe einen Choral für den kommenden Sonntag, den Jubilate, jedoch beim Näherkommen sah er, daß man tanzte, hörte schließlich auch, was man da spielte und sang: Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann in unserm Kreis herum, dideldum; mit Entsetzen sah er, daß seine Gemeinde um das riesige Faß herumtanzte wie um das Goldene Kalb. Als er schreiend und die Tanzenden verfluchend in den Kreis sprang, verstummte der Gesang, seine Frau stand schwankend von dem Harmonium auf, das man aus der Kirche ins Freie getragen hatte, und nur dieser vierschrötige Riese, dieser Klügge, spielte unbeirrt auf dem Schifferklavier weiter, sich selbst mit dem Fuß den Takt klopfend. Alle anderen standen schweigend und starrten auf den tobenden Missionar. Einige konnten sich, da sie nicht mehr tanzten, kaum noch auf den Beinen halten und mußten sich auf den Boden legen. Kreft entdeckte unter ihnen sogar den Treuesten der Treuen, Lukas, den Kirchenältesten, der einst Krefts Vorgänger Gorth nach Bethanien begleitet und nach dessen Tod den Leichnam, in Fellen eingenäht, einem Gelübde gemäß, nach Bethanien geschleppt hatte. Jetzt saß er da, frech grinsend. Und als Kreft auf den Häuptling David Christian losfuhr, der schwankte und mit einem seinen Körper erschütternden Schluckauf kämpfte, und ihn anbrüllte, was das alles hier zu bedeuten habe, dieser Rückfall ins Heidnische, Barbarische, da grinste David Christian nur und gab zur Antwort: Zehn Jahre fast haben wir im Durst gestanden, das ist genug.
    Inzwischen hatte auch Klügge aufgehört zu spielen. Er stieg vorsichtig auf den Hocker, auf dem er gesessen hatte, stand ganz ruhig, aber blies immer wieder die Backen auf und sprach langsam und schleppend: daß es Gottes Wille sei, den Menschen glücklich zu sehen, denn sonst sei er kein gütiger Gott. Und zum Glück gehöre nun einmal Lebensfreude und zur Lebensfreude Tanz und zum Tanz Gesang und zum Gesang natürlich Branntwein. Alle schnalzten anerkennend mit der Zunge, und Klügge spielte auf seinem Schifferklavier ›Rolling home‹. Aber die alte Stimmung wollte nicht wieder aufkommen, niemand mochte mehr tanzen, auch wurde kaum noch gesungen, nur noch getrunken. (Ein Glas Branntwein für eine große Straußenfeder.) Kreft (der Terrier!) bellte seine Frau an und schleppte sie ins Missionshaus. Was dort besprochen wurde, hat niemand erfahren; Sabine Kreft hat auch Klügge nie etwas davon erzählt. Sie kam nach kurzer Zeit weinend und mit ihrer gewaltigen Alkoholfahne aus dem Haus gewankt. Ihr Mann hatte sie ganz unchristlich im Namen des Allmächtigen verflucht und aus dem Haus getrieben. So schlug Klügge, dem Missionar Kreft verboten hatte, auch nur einen Fuß über die Schwelle des Missionshauses zu setzen, neben dem Faß ein Zelt auf, in das die beiden abends krochen. Eng zusammengepreßt lagen sie in der kneifenden Bodenkälte auf einer Matratze. Bei einem Kerzenlicht hatten sie versucht, noch eine Partie Dame zu spielen, aber ihre Finger waren so klamm, daß sie die Steine nicht mehr richtig setzen konnten. Da heizten sie sich mit Branntwein kräftig ein und krochen unter die Decken.
    Entsetzlich aber war, was Missionar Kreft dann in der sonst so stillen Nacht hören mußte: ein blasenwerfendes Schmatzen, ein irres Stöhnen, ein wollüstiges Geschrei, und das alles kam, als würde sie vom Teufel geritten, aus dem Munde seiner Frau, nie gehörte Laute, und er dachte, sich die Ohren zuhaltend, immer nur dieses eine Wort: Urwald.
    Am nächsten Morgen fuhr ein leerer Ochsenwagen in Bethanien ein, der ebenfalls Klügge gehörte. Auf diesen Wagen sollten alle Waren, die Klügge gegen seinen Branntwein eintauschen würde, hauptsächlich Straußenfedern, aufgeladen und dann nach Port Nolloth gebracht werden, damit sie möglichst schnell die europäischen Putzmacher erreichten. Klügge konnte fast sechstausend Straußenfedern verladen lassen, die gesamte Ausbeute der vergangenen sechs Monate. In den nächsten Tagen wollte er nordwärts weiterziehen, denn hier sei nun wirklich nichts mehr zu holen, der Stamm habe alles durch die Gurgel gejagt. Sabine Kreft aber sollte ihn auf seiner Reise begleiten. Er sei endlich ins große Geschäft gekommen, zwei Fahrten mit diesem Faß noch, dann habe er genug Kapital zusammen, um sich eine Farm zu kaufen oder aber, wenn ihr das lieber sei, nach Deutschland zurückzukehren und dort ein kleines Handelsgeschäft zu eröffnen. Es war das

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