Morenga
wie im Kreis.
Als er am nächsten Mittag aus einer totenähnlichen Starre erwachte, sah er über sich das Faß auf dem Wagen, aber schief. Ihm war, als sei in seinem Kopf etwas verrückt worden, aber dann sah er, als er sich an der Deichsel hochzog, daß jemand über Nacht das Vorderrad abmontiert hatte. Er lief umher und suchte das Rad. Vergebens. Einmal sah er die Missionarin von weitem am Fenster, nur ganz kurz. Nachmittags kam Missionar Kreft gleich doppelt auf den unter dem Hahn liegenden Klügge zu und sagte wie durch einen Nebel: Ich verzeihe auch dir, mein Bruder.
Was nennt der mich Bruder, dachte Klügge.
David Christian habe nachts ein Rad vom Faß abmontieren lassen, damit solle die Abreise Klügges verhindert werden, erzählte Kreft. Unter der Bedingung, daß Klügge morgen den Ort verlasse und niemals wiederkehre, wolle er ihm das Versteck des Rades zeigen. Klügge versprach es, konnte aber nicht mehr gehen. Er schickte einen Treiber.
Schon am frühen Abend hörte Klügge wie durch Watte, aber dennoch deutlich genug, wieder dieses Stöhnen und Geächze aus dem Missionshaus. Klügge lud, wie schon vor fast vier Wochen, den ganzen Stamm zu einem Umtrunk ein. Er wolle ein Abschiedsfest geben, sagte er. Man solle tanzen und trinken und singen. Aber sogar durch das besoffene Gegröl hindurch konnte man immer wieder dieses geile Hecheln aus dem Missionshaus hören. Du hast uns alle reich beschenkt, sagte David Christian mit einem hinterhältigen Grinsen zu Klügge, auch den Missionar.
Am darauffolgenden Morgen, die Sonne schwamm noch im Frühnebel, wurde das Faß aus Bethanien gezogen. Nur ein altes Weib zeigte sich und rief einen Fluch hinter Klügge her, der, noch benommen, die Hand an der Kehle, neben dem Faß herging. Ein Fluch auf deutsch mit einem norwegischen Akzent. Hinter den zweiundzwanzig Ochsen, die das Faß zogen, folgte ein Ochsengespann, das einen Frachtwagen zog, auf dem, in drei großen Ballen verpackt, sechstausenddreihundertneunundfünfzig Straußenfedern lagen. An den Fenstern des Missionshauses war niemand zu sehen, aber Klügge drehte sich dann auch nicht mehr um. Das Faß hatte gerade die letzte Hütte des Orts erreicht, da fiel ein Schuß. Klügge griff sich, aus seinem Grübeln aufgeschreckt, ans Herz, aber die Kugel war splitternd in das Faß gefahren, weit hinter ihm, und da begriff Klügge, daß sie ihr Ziel getroffen hatte. Entsetzt starrte er auf die Stelle, aus der gleich ein Strahl Branntwein herausschießen würde. Es zeigte sich aber, daß die Kugel die dicken Eichendauben nicht hatte durchschlagen können. Mit seinem Taschenmesser pulte Klügge die Kugel aus dem Holz. Vom Einschlag deformiert, konnte man dennoch das eingeritzte Kreuz im Blei erkennen. Vier Tage zogen die Ochsen das Faß durch die sonnenverbrannte Steppe. Klügge, der glaubte, Bewegung täte seinen schmerzenden Gliedern gut, schritt nebenher. Er hatte das Gefühl, als habe sich seit seiner Abreise aus Bethanien noch mehr Sand in seinen Knie- und Fußgelenken abgelagert, ja manchmal, wenn er dem Faß voranging, in diese horizontweite Stille, weit hinter sich nur das Keuchen der Ochsen, glaubte er sogar, das Knirschen in seinen Kniegelenken hören zu können. Aber ein Treiber, der eine Zeitlang neben Klügge herkriechen mußte, das Ohr in der Nähe von Klügges Knie, behauptete, er könne nichts hören. In Klügges Kopf jedoch knirschte es. Am 15. Juni, mittags, entdeckten sie eine Staubfahne am Horizont. Am Abend, als sie näher gekommen waren, wurden sie von dem Arzt und Elefantenjäger Dominicus begrüßt, einem untersetzten Mann mit blondem schwerem Schnurrbart. Dominicus hatte einen legendären Ruf als Branntweintrinker, doch konnte Klügge seine Enttäuschung kaum verbergen, als er hörte, daß Dominicus, der aus dem Kaplande kam, erst auf Jagd gehen wolle, also auch noch kein Elfenbein im Wagen haben konnte. Doktor Dominicus ging mehrmals um das Klügge-Faß, klopfte daran (dieser satte volle Klang), kratzte an der splittrigen Einschußstelle und sagte schließlich: Das achte Weltwunder. Wirklich eine geniale Idee, soviel Branntwein in eine Wüste zu bringen. Der Doktor mußte schlucken. Dann fragte er Klügge, wohin er ziehen wolle. Klügge sagte, er wolle nach Geiaub, und seine Befürchtung wurde bestätigt, denn Dominicus meinte sogleich, das treffe sich gut, denn das sei auch sein Weg.
Abends am Feuer erzählte Klügge dem Arzt, den er zu einem Becher Branntwein eingeladen hatte, von den
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