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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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mit Goldstücken, was zu diesem merkwürdig vorgebeugten Gang beigetragen hätte. (Klügge zog bei seinen täglichen und ausführlichen Waschungen niemals das Hemd ganz aus, sondern streifte es lediglich ab und ließ es über den Hosenbund hängen.)
    Am darauffolgenden Morgen kontrollierte Klügge, bevor die Ochsen eingespannt wurden, wie gewöhnlich das Faß, insbesondere den Zapfhahn. Zu seinem Erstaunen fand er das Tellereisen um den Hahn zugeschlagen. Er trat näher heran und entdeckte darin eine abgeschlagene Hand. Durch einen Schrei aufgeschreckt, kam Dominicus gelaufen und zog die Hand, an der noch einzelne Sehnen und Hautfetzen hingen, aus dem Tellereisen, drehte sie hin und her und sagte: Klein und zierlich. Wahrscheinlich die Hand eines Hottentotten. Sehen Sie, der Mann muß sich die Sehnen, an denen die Hand noch hing, mit einem Messer durchtrennt haben. Er hielt Klügge die Hand hin. Klügge erbrach sich.
    Als die Ochsen an das Zugseil getrieben wurden, entdeckte Dominicus, daß sein Tauleiter fehlte. Man rief. Man suchte ihn. Er war nicht aufzufinden.
    Am Abend, nachdem sie das Lager aufgeschlagen und gegessen hatten, zog Dominicus ein Kartenspiel aus der Manteltasche und schlug vor, sich die Zeit mit Pokern zu vertreiben. Man könne ja um ein Glas Branntwein spielen. Obwohl der Doktor im Ruf stand, daß er beim Pokern meist verlor, lehnte Klügge ab. Er saß stumm, die Hand am Hals, dicht am Lagerfeuer und starrte in die zuckenden Schatten. Und als Dominicus nach einiger Zeit ein Gespräch in Gang bringen wollte und Klügge fragte, was er denn am meisten in diesem Lande vermisse, antwortete der: Den Kuckucksruf und die Holunderbüsche. Zu Hause, in Hörde, hätten sie zwei Holunderbüsche im Garten gehabt. Im Sommer gab es Holunderbeersuppe, und darin waren Grießklößchen. Die Grießklößchen hatten die Form eines Löffels, weil sie mit dem Löffel ausgestochen wurden. Für eine Schüssel Fliederbeersuppe würde er jetzt seinen Branntwein hergeben. Allerdings müsse er die Suppe als Kind essen dürfen.
    Dominicus erzählte später, als er nach Walvisbaai kam und dort den Missionar Rautanen, einen Finnen, traf, daß Klügge schon am ersten Tag ihrer Begegnung einen verstörten Eindruck gemacht habe. Es sei etwas Apathisches an ihm gewesen, eine sonderbar grüblerische Haltung, Anzeichen einer progressiven Paralyse.
    Klügge starrte wieder schweigend in das Feuer und gab auf keine der Fragen Antwort. Später stand er auf, kontrollierte das Faß, spannte das Tellereisen um den Zapfhahn und legte sich dann, in drei Decken gewickelt, in die Nähe des langsam abbrennenden Feuers. Lange lag er wach, frierend. Die Glut kroch aus den ausgebrannten Holzstücken. Ihm träumte, er sei in sein Faß eingeschlossen. Man hatte ihn während des Baus, als er das Faß von innen inspizierte, vergessen und die letzten Dauben zusammengefügt. Erschöpft schwimmt er in dem dreiviertel vollen Faß herum. Es ist stockdunkel. Er hört und fühlt, wie der Branntwein gegen die runden Holzwände schwappt. Das Faß wird offenbar über einen holprigen Weg gezogen. Von draußen hört er die Stimmen der Treiber, aber auch seine eigene und das Keuchen und Schnauben der Ochsen. Dann wiederum ist alles still, draußen muß Nacht sein. Er schwimmt zwischen den Faßböden hin und her. Sein Rufen, sein Klopfen bleibt ungehört. Seine Hoffnung richtet sich allein auf den Zapfhahn, wenn jemand diesen Hahn aufdrehen und Branntwein abzapfen würde. Dieses zuversichtliche Plätschern, wenn draußen der Branntwein abfließt.
    Der Knall ließ ihn auffahren. Benommen wird er sich erst langsam bewußt, daß es ein Schuß war. Es ist Nacht und die Glut in der Asche erloschen. Er springt auf, tastet nach dem Holzpfropfen, den er seit Tagen in der Tasche trägt, und läuft zum Faß hinüber, und schon im Laufen hört er ein Plätschern, als sei plötzlich in dieser sandigen Steppe ein Quell aufgebrochen, ein Rohr geplatzt, ein Hahn nicht abgedreht worden, und er sieht den berühmten Branntweinsäufer Doktor Dominicus an dem Faß stehen, einen Eimer in Händen, und auf dem Boden sich drängend ein Knäuel Treiber, die mit offenen Händen die Spritzer auffangen und schlürfen, und er prügelt sich schlagend und schreiend durch die Leiber, den Pfropfen in der Hand, und drückt ihn gegen den dicken Strahl Branntwein in das Loch, aber der Pfropfen fliegt sofort wieder raus, und so reißt Klügge sich sein Hemd vom Leib, stopft einen Fetzen in das Loch,

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