Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
Räder, vorn und hinten jeweils vier, deren Achsen an einer drehbaren Scheibe befestigt waren. Das ermöglichte einen kleineren Wendekreis. Klügge konnte sich bei dieser Konstruktion möglicherweise schon an den Radachsen der Eisenbahn orientiert haben, die damals gerade in der Kapkolonie gebaut wurden. Der Wagen sollte von zweiundvierzig Ochsen gezogen werden, die, bis auf die beiden Vorderochsen, in zehn Viererreihen gehen sollten. Eine Zeichnung, die eine Deichsel und Zugseilkonstruktionen zeigt, erlaubt den Schluß, daß Klügge auch an Elefanten als Zugtiere gedacht haben muß. Anders sind die gewaltigen Zuggurte, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Hosenträgern von Lederhosen haben, nicht zu erklären. Es handelt sich dabei allerdings nur um einen Rohentwurf, wenn auch schon mit genauen Maßangaben.
    Diese Konstruktionszeichnungen kamen später mit dem Frachtwagen, auf dem die Schwanzfedern all jener Strauße lagen, die früher in der Gegend von Bethanien lebten, nach Port Nolloth, wo der Fahrer des Wagens, der Bastard Hermanus Zeul, die zwei Zeichnungen gegen eine Platte kubanischen Tabaks an den Engländer Shelton eintauschte, einen reichen Privatier aus London, der Heilung für sein Lungenleiden auf dem trockenen Hochland von Huib zu finden hoffte. Durch welche Hände die beiden Skizzen in dem vergangenen Jahrhundert gegangen sind, ist unbekannt. Ausgerechnet in einem Antiquariat in Elmsbüttel, einem Hamburger Stadtteil, tauchten sie wieder auf. Keines jener gepflegten Antiquariate, sondern eher ein Trödelladen. Der Besitzer konnte sich auch nicht an den Verkäufer dieser Konstruktionszeichnungen erinnern, die zusammengerollt und mit einer roten Kordel verschnürt waren. Vermutlich ein Erbfall.
    Der Fahrer Hermanus Zeul berichtete in Port Nolloth, Klügge habe zunächst noch mit unterschiedlichen Materialien herumexperimentiert, unter anderem auch mit flüssigem Wachs, um das Loch ganz abzudichten. Aber es gelang nicht. In langsamen, aber gleichmäßigen Abständen fielen die Branntweintropfen zu Boden. Tagsüber bei Sonneneinstrahlung schneller, nachts bei Bodenfrost etwas langsamer. Jedesmal, wenn der Wagen stand, bildete sich ein dunkelfeuchter Fleck im Sand, dessen Größe von der Dauer der Rast abhängig war. Der Tauleiter des Transportwagens bat Klügge, nachts unter dem Loch im Faß schlafen zu dürfen, er könne sich so, mit offenem Mund, wenigstens im Schlaf vollaufen lassen. Für den dummen Sand sei der Branntwein doch zu schade. Allein Klügge mochte es nicht dulden.
    Klügge behauptete, das Knirschen in seinen Gelenken sei stärker geworden. Es knirsche jetzt auch in seinem Kopf, und zwar bei jedem Gedanken. Also müsse sich auch dort Sand abgelagert haben. Das Denken sei für ihn jetzt schmerzhaft geworden.
    Hermanus Zeul, der sein Ohr an Klügges Hinterkopf legen mußte, behauptete, er könne nichts hören.
    Die Natur müsse nur einmal den Atem anhalten, dann würde alle Welt dieses gräßliche Knirschen in seinem Kopf hören, sagte Klügge.
    Eines Tages wachte Klügge auf und fand zu seiner Überraschung alle Treiber und Fahrer nüchtern. Er ging zum Faß, betrachtete das Loch. Kein Tropfen fiel mehr zu Boden. Es zeigte sich, daß nur dann noch Branntwein aus dem Loch tropfte, wenn der Wagen schräg zu stehen kam, was der Fahrer allerdings am Abend einzurichten wußte. In dieser Nacht kam der erste schwere Frost. Klügge behauptete, die Kälte sei unerträglich. Er vereise von innen.
    Am nächsten Morgen wurden die Ochsen wie gewöhnlich zum Zugseil getrieben. Man ließ sich dabei viel Zeit. Klügge saß schweigend, in Decken gehüllt auf einem Stein, die Hand an der Kehle. Als die Ochsen endlich im Joch standen und der Fahrer den ersten Zugochsen anrief: Christopherus, und ihn, damit er endlich anzöge, kräftig mit der Peitsche schlug, da warf sich Klügge plötzlich schützend vor das Tier und rief: Dies ist Gottes Kreatur.
    Treiber, Tauleiter und Fahrer standen ratlos, da Klügge nicht von dem Ochsen abließ und ihn weinend liebkoste.
    Man mußte die Ochsen wieder ausspannen, da sie ohne Schläge nicht die Wagen ziehen wollten. Schläge aber duldete Klügge nicht. Tagsüber saß er unter einem Kameldornbaum, in eine Decke gehüllt, trotz der Mittagshitze. Kameldorn sei falsch, behauptete er immer wieder. Das Kamel trage keine Dornen. Er wünsche sich das weiche Fell dieses Tieres. Auch würde er nie wieder versuchen, durch ein Nadelöhr zu gehen.
    Nach Einbruch der Dunkelheit, die

Weitere Kostenlose Bücher