Morenga
Eine Eselbahn über die Dünen bei Lüderitz, verstärkter Einsatz von Maultieren im gebirgigen Gelände und die versuchsweise Einführung von Kamelen, zunächst einmal hundert Tiere, die dann von Veterinären auf ihre Leistung geprüft werden sollten.
Über die geplante Operation gegen Morenga kam es zu heftigen Kontroversen zwischen dem Oberst Deimling, Kommandeur der Südabteilung, und dem ihm vorgesetzten General v. Trotha, dem Oberkommandierenden der Schutztruppe. Deimling schrieb Eingaben und lieferte Begründungen, warum Morenga sofort angegriffen werden müsse, (1. die Möglichkeit einer Vereinigung von Morenga und Witbooi, dafür gäbe es handfeste Hinweise; 2. der inzwischen legendäre Ruf Morengas, unschlagbar zu sein.) Trotha hingegen verlangte, daß zuerst Witbooi gestellt und vernichtet werden solle. Trotha und sein Stab hatten wegen der logistischen Situation Bedenken. Vor allem hielt Trotha die Stärke der deutschen Truppen, die inzwischen auf mehr als zehntausend Mann angewachsen war, noch immer nicht für ausreichend, die Aufständischen endgültig zu vernichten. Eine größere Streitmacht im Süden hatte wiederum verstärkte Nachschubprobleme: Der Nachschubweg von Norden, also von Windhuk, war lang und darüber hinaus ständig von den momentan nicht auffindbaren Witboois gefährdet. Die englische Grenze war zur Zeit gesperrt, weil ein Bastard namens Morris die Gegend unsicher machte. Und der ebenfalls lange und schwierige Baiweg von Lüderitz war von den Bethanier-Hottentotten unter Cornelius bedroht. General Trotha und sein Stab setzten darauf, daß der Reichstag möglichst bald die Kredite für einen Eisenbahnbau Lüderitz-Keetmannshoop bewilligen würde.
Gab es auch noch andere, nicht militärisch-strategische Überlegungen?
General Trotha war inzwischen ebenfalls in eine schiefe Situation gekommen, er wurde wegen seiner Blut- und Schwertpolitik nicht nur international, insbesondere von der englischen Presse, angefeindet – und zu Hause selbstverständlich auch von den Sozialdemokraten (was man gelassen tragen konnte), sondern inzwischen fingen auch andere an zu hetzen und zu wühlen: Missionare (konnten nicht anders), die Ansiedler in Südwest (fielen nicht weiter ins Gewicht), die Freisinnigen (?) und ein paar Leute von der liberalen Journaille. Bedenklicher war allerdings, daß ein bestimmter Personenkreis bei Hof offenbar das Gehör Seiner Majestät gefunden hatte. Leute, meist Kommerzienräte und Bankiers, die, den schnöden Mammon im Sinn, immer wieder vor Trothas Pazifizierungssystem warnten mit dem Hinweis, der Kolonie werde es einmal an Arbeitskräften fehlen, wenn man ihn, Trotha, weiter schalten und walten ließe. Dieser Meinung hatte sich zur Überraschung Trothas nach und nach der Chef des Generalstabes, Graf Schlieffen, angeschlossen. Was Trotha also brauchte, war ein Sieg, der es ihm erlaubte, einen eleganten Abgang aus Südwest zu finden. Eine solche Möglichkeit wäre ein Sieg über Hendrik Witbooi gewesen. Hendrik Witbooi hatte auch einen inzwischen international bekannten Namen, während niemand etwas mit dem Namen Morenga oder Marengo verbinden konnte, einem hergelaufenen Minenarbeiter ohne jede Kapitänswürde.
Und Deimling?
Oberst Deimling mußte nach dem Debakel von Groß-Nabas eine Scharte auswetzen. Dieses verlorene Gefecht (Deimling, der sonst gern alles als Schlacht bezeichnete, spielte den Kampf in diesem Fall absichtlich herunter) konnte sich für die bevorstehende Beförderung zum General als hemmend erweisen.
Berthold Deimling war der Typ des Draufgängers. Er sah sich selbst gern so: Energisch, ruhig-überlegen, klare, schnelle Entscheidungen, kühl-distanziert. Was ihn schmerzte, war das fehlende Adelsprädikat, die Dignität, die allein aus der Herkunft resultiert. Er war aber durchaus kein Haudegen. Dazu fehlte ihm die schulterklopfende Art. Hielt auch im Gespräch auf Distanz, trank wenig, war ein ausgezeichneter Reiter, trug auch im Feld enge, maßgeschneiderte Korduniformen. Militärisch denkend und handelnd, war er ein konsequenter Vertreter des militärischen Primats gegenüber jeglicher Politik. Da er das militärische Primat konsequent wie kaum ein anderer vertrat, gelangte er zur Berühmtheit mehr im Politischen als im Militärischen.
1906 als Berichterstatter über die Kämpfe in Südwest geladen, brüskierte er den Reichstag, indem er die Kommandogewalt des Kaisers über das Budgetrecht forderte. Daraufhin wurde ein Nachtragshaushalt der
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