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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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der untergehenden Sonne kerzengerade eine Riesenwelle.

    Am Morgen des 6. März rückte die Abteilung Koppy aus Kalkfontein ab. Es hieß, direkt ins Gefecht. Gottschalk marschierte mit schmerzenden Füßen im Staub der Abteilung, die Zunge pelzig, und fragte sich erstmals, warum er noch nie überlegt hatte, sich abzusetzen. (Er dachte dieses etwas umständliche Wort: absetzen, und nicht etwa: desertieren.) Aber der Gedanke erschien ihm so absurd wie abenteuerlich. Wohin hätte er gehen sollen? Nach Südafrika? Nach Amerika oder Argentinien? Jetzt brauchte er nur hinter einen Busch zum Pinkeln gehen und hätte sich schon erfolgreich von der Truppe entfernt. Möglicherweise würden die ihn nicht mal suchen lassen. Aber was dann? Er stünde dann allein in einer wasserlosen Landschaft, eine wandelnde Zielscheibe für die Rebellen.
    Abends, wenn er von seinem Rapport bei Gersdorff zurückkam, hockte sich Gottschalk ans Biwakfeuer und brabbelte vor sich hin. Man hätte meinen können, er sei jetzt endgültig durchgedreht. Tatsächlich aber versuchte er, auf Nama die Frage zu formulieren, in welcher Richtung die englische Grenze liege. Nicht, daß er sich ernsthaft mit dem Gedanken trug abzuhauen. Es war vielmehr das Durchspielen einer Möglichkeit, wenn auch, wie er sich selbst sagte, einer abwegigen. Dabei wurde ihm erstmals bewußt, daß er in den vergangenen Wochen die falschen Phrasen in Nama gelernt hatte, bombastische, mit Klicklauten gespickte Sätze und Wörter, die ihn zu einem Artisten des Zungenschlags hatten werden lassen, die ihn aber nicht einmal zur englischen Grenze führen konnten. Der Teerosenschakal raucht im Traumgewölbe seine schwarze Havanna!

    Als sie in Kalkfontein einmarschiert waren, glaubte Gottschalk, in einer Gruppe Gefangener Jakobus entdeckt zu haben. Der Junge bewegte sich hüpfend vorwärts. Man hatte ihm mit einem Strick die Füße zusammengebunden, ebenso die Hände, mit dem Strickende eine Schlinge um den Hals gelegt und sauber verknotet. Ein Paalsteek, wie ihn Gottschalks Großvater nicht besser hätte machen können. Gottschalk hätte beinahe hallo gerufen. Gern hätte er gewußt, was aus Wenstrup geworden ist und ob er die englische Grenze erreicht hat.
    Jemand sagte: Der sieht ja ulkig aus, wie ein Frosch.
    Zeisse hatte sich zu Gottschalk gesetzt. Zeisse ritt jetzt das Pferd von Gottschalk. Er sagte, es täte ihm leid, aber man habe es ihm zugewiesen, nachdem er sich zu der Patrouille freiwillig gemeldet habe. Schade sei, daß er das Gitter für das Bezirksamt nicht mehr hätte fertigschmieden können. Es fehlten noch einige Gitterstäbe mit den heraldischen Lilien. Der Gedanke, jetzt eine Hottentottenkugel verpaßt zu bekommen, ins Gras beißen zu müssen, ohne dieses Gitter fertiggestellt zu haben, beunruhige ihn am meisten.
    Was für eine unsinnige Redewendung, dachte Gottschalk, ins Gras beißen, wo es hier doch nur Sand und Steine gibt.
    Gottschalk hatte in Warmbad oft darüber gegrübelt, daß vieles, was man dachte und wie man dachte, nicht mit dieser Landschaft zusammenpaßte. Es war, als hätte man solche Gedanken und Sätze wie Reisegepäck, das sich dann aber als unzweckmäßig erwies, in dieses Land geschleppt. Eine Zeitlang ging Gottschalk dem verrückten Gedanken nach, aus der Landschaft und von den Einwohnern ein neues Denken zu lernen, mit dessen Hilfe man alles anders sehen könnte, tiefer und genauer.

    Zeisse erzählte von seinem Plan. Er wolle sich noch länger verpflichten, Unteroffizier werden und seinen Sold so lange auf die hohe Kante legen, bis er seinen Meister machen und in der Nähe von Bardowick eine Hufschmiede eröffnen könne.
    Wenn Zeisse erzählte, krochen ihm die Sätze wie Schildkröten aus dem Mund, dabei war er durchaus nicht wortkarg, eher redselig, aber auf eine langsame, schleppende Weise.

    Gottschalk rollte sich in seinen Woilach. Wie ein dicker Käse hing der Mond über ihm. Vorschriftsmäßig hatte er griffbereit sein Gewehr neben sich gelegt. Entsichert. Zwei Nächte zuvor hatte ein Gefreiter durch eine Bewegung im Traum einen Schuß ausgelöst, der ihm das rechte Fußgelenk zerschmetterte. Den Verdacht, daß es sich dabei um Selbstverstümmelung handeln könne, wies Oberarzt Haring, nachdem er den Fuß amputiert hatte, zurück. Selbstverstümmelungen beschränkten sich aller Erfahrung nach meist auf Fleischwunden, die später keine körperlichen Gebrechen hinterließen.
    In Windhuk hatte Gottschalk sich einmal mit Wenstrup darüber

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