Morenga
unterhalten, ob es sinnvoll sei, einen Lebensplan zu machen. Wenstrup lehnte das für sich ab. Ein solcher Plan bringe die Gefahr der Erstarrung mit sich. Spontaneität werde abgetötet, es komme zu einer frühzeitigen Vergreisung. Er denke kaum an Zukünftiges und habe auch keine Vorstellung, was aus ihm einmal werde. Der Gedanke, jetzt schon zu wissen, daß er einmal verheiratet sein würde, drei Kinder habe und abends mit einer Aktentasche nach Hause komme, sei ihm gräßlich. Gottschalk kam sich damals wie ertappt vor. Einen Moment hatte er den Verdacht, Wenstrup könnte in seinem Tagebuch gelesen haben. Aber dann hatte er sich gesagt, daß das nicht der Stil von Wenstrup sei.
Gottschalk hatte jetzt manchmal das Gefühl, in eine fremde Geschichte hineingeraten zu sein.
Tagebucheintragung Gottschalks vom 8. 3. 05
Ich träumte, daß ich, an eine leere Heringstonne geklammert, in der eisigen Nordsee trieb. Auf der dümpelnden Tonne hockte eine riesige Möwe mit Augen wie Stahl und hackte nach meinen Händen. So mußte ich immer wieder die Hände wegziehen und doch sogleich die sich im Wasser drehende Tonne wieder ergreifen. Ich hatte Angst, die Möwe könnte meine Finger für Fische halten. Und tatsächlich, als ich hinsah, waren meine Finger Fische.
Von dem Gefecht bei Garup war Gottschalk regelrecht enttäuscht. Gottschalk hatte sich in den vergangenen Tagen, während er mit schmerzenden Füßen durch den Sand marschierte, immer wieder vorgestellt, wie plötzlich an der Spitze Schüsse fielen, Schüsse, die jäh alle Strapazen und Schikanen löschten.
Gersdorff auf diesem hochgebauten Falben war doch eine herrliche Zielscheibe. Man mußte ihn nur auf hundert Meter herankommen lassen, dann war er gar nicht zu verfehlen. Seine feine Nase würde sich in den Dreck bohren, der Hut, den er so keß über dem rechten Ohr trug, würde im hohen Bogen runterfliegen.
Der Weg führte durch ein Tal. Zwei Bergkuppen schoben sich heran, durchschnitten von dem jetzt trockenen Flußlauf. Plötzlich fielen vorn Schüsse. Koppy ließ absitzen und ausschwärmen. Die Artillerie wurde aufgefahren. Ein berittener Zug mit einem Gebirgsgeschütz sollte die Hottentotten an ihrer rechten Flanke umgehen. Wenig später räumten die Aufständischen die Hügel. Nur einmal, weit oben, sah Gottschalk eine kleine Gestalt, ganz kurz nur, dann war sie wieder zwischen den Gesteinsbrocken verschwunden. Irgendwo fiel noch ein Schuß. Das war alles. Niemand war gefallen, niemand verletzt. Gersdorff galoppierte vorbei. Gottschalk war, wie schon gesagt, von diesem Morenga enttäuscht, der einfach kampflos das Feld geräumt hatte.
Hauptmann von Koppy war überzeugt, daß es sich bei den Hottentotten nur um eine Vorhut gehandelt haben könne. Das dicke Ende käme noch. Er gab für den nächsten Tag die Instruktionen aus. Noch in der Nacht wolle man aufbrechen und morgens zur Narudasschlucht marschieren, in der die Leute Morengas ihr Lager hatten. Man wolle den Stall ausräuchern. Drei andere Abteilungen unter dem Befehl von Oberst Deimling würden ebenfalls anrücken. Eine konzentrische Aktion. Einkesseln und vernichten. Die Offiziere saßen über die Karten gebeugt. Da waren komplizierte logistische Probleme zu lösen, Distanzen zu schätzen, markante landschaftliche Punkte mit den Karten zu vergleichen, die nur als Handzeichnung vorlagen. Schließlich sollten alle vier Abteilungen gleichzeitig an der Schlucht eintreffen. Von dieser Hektik unberührt, lag Koppy auf einer Decke, den Oberkörper an einen Felsblock gelehnt, und soff den mitgeschleppten Rum bester Qualität. Er kannte diese Gegend fast so gut wie Morenga, den er für einen Ehrenmann hielt.
Am darauffolgenden Tag, dem 11. 3. 1905, morgens, kam es zum Gefecht an der Narudasschlucht. In dem Tagebuch findet sich dazu nur eine Eintragung von Gottschalk, die zwei Tage später gemacht wurde.
Tagebucheintragung Gottschalks vom 13. 3. 05
(im Großen Karrasgebirge)
Morenga auf einem Schimmel. Fast die gesamte Abteilung hat ihn gesehen. Dann begann der Sturm auf die Schlucht. Was folgte, nannte Leutnant von Eberstein die Feuertaufe. Bei der Feuertaufe sind die Steinsplitter gefährlicher als die Kugeln. Dann, als die ersten Verwundeten kamen, wurde ich zum Verbandsplatz abkommandiert, wo schon die Ärzte Otto, Haring und Clemm hantierten. Ich mußte die Chloroformmaske halten. Ein Mann vom Eisenbahnbataillon wurde herangetragen, der einen Schuß in den Unterleib bekommen hatte und vergeblich
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