Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Pferdes. So hatte er Zeit nachzudenken über den heiligen Eid, den er als
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geschworen hatte, und daß ein Bruch des Schwurs keine Kleinigkeit war für sein Ehrempfinden und schon gar nicht für seine Seele. Er tätschelte die rauhe Wange des Kastanienbraunen, legte den Kopf an den warmen Hals und stand erschaudernd in der Kälte, doch irgendwie immun dagegen. Wie leicht wäre es gewesen, dort im Wind zu sterben, aller Wärme beraubt, in den lähmenden Schnee sinkend, einfach sterben, unberührt von
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Verwünschungen.
Schnee knirschte unter Morgaines Stiefeln. Sie blieb neben ihm stehen, wartete darauf, wie er sich entscheiden würde – seine Seele aufzugeben, indem er den Schwur brach, oder sie aufs Spiel zu setzen, indem er einem Wesen wie ihr diente. Einem Mann, der auf jeden Fall verloren war, wie immer er sich entschied, blieb nur das Leben; und das Leben würde auf jeden Fall länger währen, wenn er jetzt die Flucht ergriff, anstatt bei Morgaine Frosthaar zu bleiben.
Dann dachte er an den Rehbock und spürte gleich darauf ein Zucken zwischen den Schulterblättern, als versuche sie ihm das Leben zu nehmen. Dieser Erscheinung konnte er auf keinen Fall entrinnen; vielleicht besaß sie sogar andere Waffen, doch kein Entkommen gab es vor dem Ding, das den Rehbock getötet und keine Wunde hinterlassen hatte.
»Meine Forderung ist rechtens«, sagte sie.
»Unter dir ist das Jahr wahrscheinlich mein letztes«, wandte er ein. »Und hinterher wäre ich in Andur-Kursh ein gezeichneter Mann.«
»Das ist sicher wahr. Mein eigenes Leben dürfte kaum länger währen. Ich habe kein Mitleid zu verschenken.«
Sie hielt ihm die Hand hin. Er ergab sich in sein Schicksal, und sie zog die elfenbeinbesetzte Ehrenklinge aus dem Gürtel und schnitt tief, aber nicht breit in seine Haut: dunkles Blut wallte empor, wegen der Kälte nur langsam. Sie legte den Mund auf die Wunde, und er tat dasselbe, der salzheiße Geschmack seines eigenen Blutes führte dazu, daß sich sein Magen angewidert verkrampfte. Dann verschwand sie in der Höhle und holte Asche, um die Blutung zu stillen, zeichnete damit das Klan-Zeichen der Chya, mit seinem Blut und ihrer Herdasche auf seine Handfläche – das uralte Ritual der Inbesitznahme.
Dann verneigte er sich, bis seine Stirn im brennenden Schnee lag, und das Eis löschte das Feuer in seiner Hand und beendete den pulsierenden Schmerz. Ab jetzt hatte sie ihm gegenüber gewisse Verpflichtungen: sie mußte dafür sorgen, daß er nicht hungerte, weder er, noch sein Pferd, auch wenn gewisse heruntergekommene Lords sich dieser Verantwortung entzogen und ihre elenden
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mager und hungrig hielten und ihre Pferde kaum besser versorgten, wenn sich die
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in ihrer Residenz aufhielten.
Morgaines Position war sogar noch bescheidener: sie hatte keine Burg zum Schutz für sie beide, und der Klan, in dessen Namen sie ihn an sich gebunden hatte – sein eigener Geburtsklan legte es eher darauf an, ihn umzubringen.
Was ihn betraf, so mußte er Befehle ausführen: im Augenblick galt für ihn kein anderes Gesetz. Auf Befehl mußte er sogar gegen die eigene Heimat oder gegen Familienangehörige kämpfen, obwohl es nicht gerade für die Ehre des Lord sprach, sollte ein
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grausam eingesetzt werden. Jedenfalls mußte er ihre Feinde bekämpfen, sich um ihren Herd kümmern – was immer sie von ihm verlangte in dem Jahr, das mit dem Tag seines Schwurs begann.
Sie konnte ihm auch eine große Aufgabe stellen, dann war er ihrer Erfüllung verpflichtet, auch wenn es länger als ein Jahr dauerte, bis ihrem Wunsch Genüge getan war. Das war ebenfalls sehr grausam, entsprach aber dem Gesetz.
»Welchen Dienst verlangst du?« fragte er. »Läßt du dich von mir nach Süden führen?«
»Wir ziehen nach Norden«, sagte sie.
»Lady, das ist Selbstmord!« rief er. »Für dich und für mich.«
»Wir reiten nach Norden«, wiederholte sie. »Komm, ich verbinde Euch die Hand.«
»Nein«, sagte er. Er preßte Schnee mit der Faust zusammen, stillte die Blutung und drückte die verwundete Hand an sich. »Ich möchte keine von deinen Arzneien haben. Ich halte meinen Schwur. Laß mich in Ruhe, ich kümmere mich um mich selbst.«
»Ich beharre nicht darauf«, sagte sie.
In diesem Augenblick kam ihm ein anderer, noch schrecklicherer Gedanke. Wieder neigte er bittend den Kopf, verzögerte damit ihre Rückkehr in die Höhle.
»Was ist noch?« fragte sie.
»Wenn ich sterbe, mußt du mir nach dem Brauch ein
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