Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Begegnung mit mir fasziniert ihn vielleicht.«
Sie setzte sich auf den zweiten schlichten Stuhl und verschränkte die Arme. »Leg dich hin«, sagte sie. »Wir brauchen beide unseren Schlaf.«
Er ließ sich halb auf das Bett sinken, stützte die Schulter gegen die Wand und überdachte das Problem. »Ich bin froh«, sagte er aus diesen Überlegungen heraus, »daß du nicht weitergeritten bist und mich im Delirium hast liegen lassen. Dafür bin ich dir dankbar,
liyo.«
Sie blickte ihn an, die grauen Augen wirkten katzenhaftgelassen. »Dann gibst du also zu«, sagte sie, »daß es schlimmere Situationen gibt, als in meinen Diensten
ilin
zu sein?«
Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken. »Das gebe ich zu«, sagte er. »Der Aufenthalt hier gehört zu diesen schlimmeren Dingen.«
Sie stützte die Füße auf ihr Gepäck: er legte sich hin, schloß die Augen und versuchte zu schlafen. In der Hand pulsierte der Schmerz. Sie war noch immer leicht geschwollen. Am liebsten wäre er ins Freie gegangen und hätte Schnee auf die Wunde gepackt, Schnee, den er auf jeden Fall für wirksamer hielt als Flis’ Kompressen oder Morgaines
qujalin
-Medizin.
»Die Klinge des kleinen Jungen hat die Infektion ausgelöst«, sagte er. Dabei kam ihm ein Gedanke. »Du hast sie auch gesehen?«
»Wen?«
»Den Jungen – das Mädchen…«
»Hier?«
»Im Korridor unten.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Warum erduldest du das alles?« fragte er. »Warum hast du dich überhaupt hierher bringen lassen? Du wärst mit meiner Wunde doch selbst fertiggeworden – und mit den Reitern wahrscheinlich auch.«
»Du scheinst übertriebene Vorstellungen von meinen Fähigkeiten zu haben. Ich bin nicht in der Lage, einen Kranken herumzuschleppen, und eine Diskussion schien mir in dem Augenblick nicht angebracht. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, mache ich mir Gedanken, ob wir nicht etwas unternehmen können. Aber zunächst mußt du für meine Sicherheit sorgen, Nhi Vanye, du mußt mich schützen. Ich erwarte, daß du diese Verpflichtung erfüllst.«
Er hob die geschwollene Hand. »Das – liegt im Augenblick nicht in meinen Kräften, wenn wir uns wirklich den Weg in die Freiheit erkämpfen müssen.«
»Aha. Damit hast du deine erste Frage selbst beantwortet.« In solchen Augenblicken regte ihn Morgaine am meisten auf. Sie lehnte sich wieder abwartend zurück, dann sprang sie auf und wanderte unruhig hin und her. Sie erinnerte an ein wildes Tier im Käfig. Sie mußte etwas mit den Händen bewegen, aber es gab nichts zu tun. Sie trat an das Gitterfenster, blickte hinaus, kehrte ins Zimmer zurück.
So ging es weiter – sie setzte sich ein Weilchen, wanderte eine Zeitlang hin und her – und machte ihn damit so nervös, daß er vielleicht ebenfalls frustriert im Zimmer herumgelaufen wäre, wenn ihn die Schmerzen nicht so sehr geplagt hätten. Kannte diese Frau überhaupt einen Augenblick der Ruhe, überlegte er, stand sie je außerhalb des Einflusses der Kräfte, von denen sie angetrieben wurde? Keine einfache Unruhe über das Eingesperrtsein erfüllte sie. Es war vielmehr derselbe Drang, der schon während des Rittes auf der Straße in ihr gebrannt hatte, als wäre alles in Ordnung, solange sie nur vorwärtskamen, während jede unvorhergesehene Verzögerung sie sofort auf das Unerträglichste belastete.
Er hatte den Eindruck, als hätte sie eine Verabredung mit dem Tod und den Zauberfeuern, eine Verabredung, die sie unbedingt einhalten mußte; als widersetze sie sich jeder unwichtigen menschlichen Einwirkung auf ihre Mission.
Das Sonnenlicht, das in den Raum schien, wurde schwächer. Die Einrichtung zeichnete sich nur noch undeutlich ab. Plötzlich klopfte es laut. Morgaine ging zur Tür. Es war Flis.
»Der Herr sagt, ihr sollt kommen«, verkündete das Mädchen. »Wir kommen«, antwortete Morgaine. Das Mädchen blieb in der Tür stehen und rang die Hände.
Dann huschte sie davon.
»Die Kleine ist nicht weniger durcheinander als die anderen«, bemerkte Morgaine. »Aber man muß mehr Mitleid mit ihr haben.« Sie nahm ihr Schwert und auch die anderen Sachen zur Hand und versteckte ein paar Dinge unter ihrer Robe. »Falls jemand unsere Sachen untersucht, während wir fort sind.«
»Wir haben noch immer Gelegenheit, einen Fluchtversuch zu machen«, sagte Vanye.
»Liyo,
wir sollten die Chance nutzen. Ich fühle mich kräftiger. Es gibt keinen Grund, warum ich nicht reiten sollte.«
»Geduld«, sagte sie. »Außerdem ist Kasedre
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