Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
haben Andur-Kursh bisher nur geschadet; deshalb kann ihr Vorhaben Morija keine Nachteile bringen.«
»Und du weißt nicht, was sie mit einer solchen Tat gewinnen könnte?«
»Nein. Sie sagt nur, daß sie Thiye umbringen will – irgendwie –, und das ist nicht…« Er bewegte den Arm. Die Klinge schnitt ihm in die Haut, und er lag wieder still. »Erij, sie ist nicht der Feind.«
Erijs Mund verzog sich zu einem säuerlichen Lächeln. »Nicht nur Thiye hat nach dem gestrebt, was Thiye im Augenblick verkörpert. Und keiner dieser anderen war uns wohlgesonnen.«
»Sie will nicht in Besitz nehmen, was er regiert. Sie will es vernichten.«
Die Klinge wurde angehoben. Vanye rappelte sich auf die Knie hoch; er hatte Schmerzen in Kopf und Unterleib, wo er getreten worden war. Er reagierte voller Ernst auf Erijs Zynismus.
»Kleiner Bruder«, sagte Erij, »du scheinst der Hexe ja tatsächlich zu glauben! Wenn das der Fall ist, mußt du den Verstand verloren haben! Schau mich an. Ja, sieh mich an! Ich verspreche dir – und du weißt, daß ich mein Wort halte –, wenn du deiner Verpflichtung abschwörst, werde ich nicht kassieren, was du mir schuldest.« Das Langschwert zuckte auf sein Handgelenk zu. Vanye riß entsetzt den Arm zurück. Statt dessen richtete sich die Klinge auf seine Augen, bannte ihn wie der starre Blick einer Schlange.
»Bastardbruder«, sagte Erij, »es hat mich die ganzen zwei Jahre gekostet, um mir mit der Linken die nötige Geschicklichkeit anzueignen. Das alles wegen einer einzigen achtlosen, nutzlosen Geste. Obwohl sich Romen größte Mühe gab, verlor ich die Finger- noch ehe mir die Hand abgenommen werden mußte. Muß ich dir noch sagen, was ich mir inbrünstig zu tun geschworen habe, sollte ich dich jemals wieder in die Finger bekommen, Bastardbruder? Kandrys mag sein Schicksal von deiner Klinge verdient haben; ich aber versuchte ihn in dem Augenblick nur abzuschirmen, wollte nur verhindern, daß du noch einmal zuschlugst – und trug dabei nicht einmal Rüstung. In deiner Tat liegt keine Ehre, kleiner Bruder. Und ich habe dir nicht verziehen.«
»Das ist eine Lüge«, antwortete Vanye. »Du hättest mich genauso gern umgebracht wie Kandrys, und ich war weniger geschickt als ihr: das war schon immer so.«
Erij lachte: »Da spricht der Vanye, den ich kenne! Kandrys wäre mir fluchend an die Kehle gesprungen, hätte ich ihn bedroht. Du aber weißt, daß ich es tun werde, und hast Angst. Du denkst zuviel, Chyabastard. Deine Fantasie war schon immer ausgeprägt. Sie machte dich zum Feigling, weil du es nie verstanden hast, dein Köpfchen wirklich zum eigenen Vorteil zu nutzen. Aber ich will dir zugestehen, daß du damals unterlegen warst. Die Jahre haben dir Gewicht gegeben und eine halbe Hand zusätzliche Körpergröße. Ich bin nicht sicher, ob ich es als Linkshänder heute mit dir aufnehmen möchte.«
»Erij.« Er setzte alles auf diesen Appell an die Vernunft, legte sein Herz in seine Stimme. »Erij, soll diese Burg denselben Ruf erringen wie die von Leth? Laß mich ziehen. Ich bin geächtet. Ich gebe zu, daß ich das verdient habe. Es war Wahnsinn, zurückzukehren und Vater um Hilfe anzugehen. Ich hätte diesen Schritt nie gewagt, wäre mir bewußt gewesen, daß ich mich damit an dich wenden müßte. Das war mein Fehler. Aber bei den Nhi wird deine Ehre leiden. Du weißt, daß die Nhi nichts damit zu tun haben wollen, sonst brauchtest du keine Myya-Wächter gegen mich einzusetzen.«
»Worum bittest du mich?«
»Daß du mich als Nhi behandelst, als deinen Bruder.«
Erij lächelte leicht, zog die Ehrenklinge, die an seinem Gürtel hing, und ließ sie auf die Herdsteine klirren. Dann verließ er den Raum.
Vanye starrte ihm nach und schreckte zusammen, als die Tür zuknallte und der schwere Riegel vorgeschoben wurde. Angst breitete sich in ihm aus wie ein alter Freund, vertraut und ihm nahestehend. Er wandte sich nicht sofort der Klinge zu. Darum hatte er nicht gebeten, sondern um seine Freilassung; und doch war dies eine ehrenvolle Antwort, eine mehr als ehrenvolle Antwort auf alle seine Wünsche an Erij.
Endlich drehte er sich auf den Knien herum und suchte den Griff der Klinge, nahm sie an sich und fand keinen Trost bei dem Gewicht in seiner Hand, noch weniger fand er den Mut, das Erwartete zu tun.
Hier mochte Sicherheit vor Erij liegen; Erij‘s letzte Gnade war dieses Angebot. Es gab weitaus schlimmere Schmerzen als den ehrenhaften Schmerz dieser Waffe.
Aber davor stand ein Akt
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