Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Vorbeireiten darauf und hätte sich am liebsten übergeben.
Sie entdeckten andere tote Wesen, vorwiegend kleine. Eine Gestalt schien ein Mensch zu sein, aber die Wölfe waren schon darüber hergefallen.
An diesem schlimmen Ort verdämmerte allmählich das Licht. Sie ritten im sinkenden Licht zwischen den knorrigen Pinien hindurch, suchten sich vorsichtig ihren Weg. Die Männer hielten die Bögen schußbereit, suchten ständig den Wald mit den Blicken ab.
Plötzlich verdünnte sich der Baumbestand. Auf dem großen Berghang zeichnete sich eine kleinere Erhebung ab und darauf abgebrochene Säulen, hellfarben, voller eingemeißelter Runen, Fremdkörper auf dem schwarzen Gestein des Ivelkegels.
Und das Tor.
Im Gegensatz zu dem Tor von Aenor-Pywn oder Domen-Leth war diese Erscheinung riesig: das Metall unberührt von den Jahren. Es warf ein schimmerndes Netz, das eine große Tiefe zu haben schien; die Sterne funkelten in schwarzem Bogen vor der im Abendlicht liegenden weißen Flanke Ivrels. Die Luft ließ alle Nerven kribbeln. Die Pferde wollten zurückscheuen, Reiter stiegen ab und bereiteten eine Rast vor.
Zuerst half man Morgaine herab, befreite sie von den Fußfesseln. Sie wurde an eine der wenigen krummen Pinien gebunden, die sich so dicht am Tor gehalten hatten. Roh wurde ähnlich versorgt und versuchte sich zu wehren. Schließlich hob man Vanye vom Pferd, und er nahm an, daß man ihn genauso behandeln würde. Statt dessen gab Liell den Befehl, ihn nach vorn zu schaffen.
Er teilte einen Tritt aus, der einen Mann mit einem Schmerzensschrei zu Boden gehen ließ. Dann schlug ein Leth zu, trat ihn zu Boden und bearbeitete ihn mit der Peitsche. Vanye duckte sich vor den Hieben, vor denen ihn das Kettenhemd weitgehend schützte.
Plötzlich fuhr Liell dazwischen und verwünschte den Mann. Andere zerrten ihn hoch, und der Übeltäter entfernte sich geduckt.
»Keine Prügel für diesen Mann!« sagte Liell. »Ihm darf nichts geschehen. Wer ihn nur verletzt, ist des Todes!« Mit langsamen Bewegungen löste er Vanyes Umhang, reichte das Kleidungsstück an einen Mann weiter und ging um seinen Gefangenen herum. Vanye fuhr zusammen, mußte es aber geduldig über sich ergehen lassen, daß Liell vorsichtig seine Knochen abfühlte, wie um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Mit bitterer Freude registrierte er seine Kopfschmerzen und das noch schlimmere Stechen in den Beinen und Gelenken, das von dem langen Aufenthalt im Sattel herrührte – seine einzige Rache an Liell. Wie traurig, überlegte er, daß man ihn so leicht hatte gefangennehmen können. Dabei tröstete ihn nicht einmal der Gedanke, daß Roh für seine Dummheit teuer bezahlen mußte.
Denn bis dahin war von Nhi Vanye auch nichts mehr übrig, selbst wenn sein Körper weiterlebte – allerdings nur als Hülle für Liell-Zri, der sich an Roh und an Morgaine rächen würde.
Dieses Bild trat ihm vor Augen, als Liell das letzte Stück Hang in Angriff nahm und die Männer ihn die kahle Schräge hinaufdrängten. Da verließ ihn auch der letzte Rest von Mut, und er wäre sicher in die Knie gesunken, hätten ihn die Männer nicht links und rechts gestützt. Er stolperte über lockere Steine, während Liell sicheren Schrittes neben ihm einherging, jener deutlichen freigeräumten Stelle entgegen, da die Luft wie Eis in die Lungen schnitt. Über ihnen war nur noch das Tor zu sehen und die Sterne darin; zu spüren war ein Wind, der sanft an ihnen zerrte, der sie in jenen Abgrund rief.
Das Bild vor ihnen wuchs, bis kein Himmel mehr zu sehen war. Die Leth in ihrer Begleitung begannen zu zögern, und Vanye hoffte einen freudigen Augenblick lang, sie würden den Mut verlieren und ihn loslassen. Aber Liell verwünschte und bedrohte sie, und sie zerrten ihn weiter, bis sie taumelnd in dem fürchterlichen Wind standen, auf einem ebenen Stück in der Nähe des Tors.
Hier forderte Liell die Männer auf, Vanyes Fesseln zu lösen, ihn aber weiter festzuhalten. »Eine behinderte Zuflucht möchte ich nicht aufsuchen«, sagte er. Die Leth gehorchten und hielten ihm die gefühllosen Handgelenke mit solch grausamer Kraft auf dem Rücken fest, daß er sich nicht befreien konnte. Er starrte in den mächtigen Abgrund und glaubte das Gleichgewicht zu verlieren, obwohl er doch auf einem Fleck verharrte.
»Wie geht das vor sich?« wandte er sich an Liell. Eigentlich wollte er es gar nicht wissen, doch sein Mut bot keinen Schutz vor dem Unbekannten; er fürchtete, daß er, wenn er es
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