Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
diesen Ort in einem schlimmen Traum schon einmal durchritten zu haben und dabei gestorben zu sein. Die Bäume, die Felsen wirkten wie aus der Dunkelheit herausgemeißelt, seine Sinne klammerten sich daran fest wie Finger, die einen letzten festen Halt suchten.
Ich verliere sie,
dachte er und:
Wahnsinn, daß ich so einfach mit ihm reite.
Aber er hatte keine Kraft mehr; außerdem besaß Erij
Wechselbalg,
das Unterpfand seiner Pflicht. Erij war der Vernunft aufgeschlossen – so hoffte er inbrünstig.
Auf einer kleinen Lichtung zügelte Erij schließlich das Tier und hieß ihn absteigen.
Panik stieg in ihm auf. Fast hätte er sein Pferd zum Galopp angespornt. Aber dann stieg er doch aus dem Sattel, wobei er krampfhaft die Knie durchdrückte, um nicht vor Schwäche das Gleichgewicht zu verlieren. Unsicher ließ er sich von Erij in die Mitte der Lichtung winken.
»Wo ist sie?« fragte Erij; er stieg ab und löste
Wechselbalgs
Scheide von seinem Sattel.
Vanye wußte plötzlich, daß Erij ihn töten wollte, sobald er geantwortet hatte;
Wechselbalg
glitt unaufhaltsam aus der Scheide: Erij kannte die Eigenschaften der Klinge und wußte damit umzugehen!
Vanye stürzte sich geduckt auf seinen Bruder, umfaßte ihn an der Hüfte, stürzte mit ihm zu Boden.
Wechselbalg
fiel, noch in der Scheide steckend, zu Boden.
Erij s Ellenbogen knallte Vanye
ins
Gesicht und blendete ihn. Plötzlich lag er wieder unten, auf der Verliererstraße wie immer, wie immer bei seinen Brüdern. Er konnte nichts mehr sehen, konnte nicht atmen, hatte eine Sekunde lang keinerlei Gefühl. Mit letzter Kraft wälzte er sich herum, krallte sich fest, suchte nach einem Ansatzpunkt, den Kampf zu wenden. Im nächsten Augenblick hämmerten seine Hände Erijs Kopf gegen den schneebedeckten Boden, immer wieder, bis Erij erschlaffte, bis sein Bruder die Gegenwehr aufgab. Vanye rappelte sich auf und nahm
Wechselbalg
an sich. Seine Gedanken wurden wieder klar, als er das -Pferd erreichte, die Schwertscheide haltend, blindlings nach den Zügeln tastend.
Das Pferd scheute. Erijs Angriff traf ihn von hinten, warf ihn von den Füßen, betäubte ihn, ließ ihn beinahe unter die Hufe fallen.
Wechselbalg
flog ihm aus den gefühllosen Fingern, war nicht mehr zu erreichen, und als er danach greifen wollte, versetzte ihm Erij einen Tritt gegen die Schulter. Er rappelte sich taumelig auf und wurde von Erij s Faust getroffen, die ihn rücklings in den Schnee schleuderte. Im nächsten Augenblick stürzte sich Erij auf ihn, ein Knie auf seine Brust gestemmt, der Armstummel kräftig genug, um seinen Arm zur Seite zu schlagen: Erij zog seine Ehrenklinge und ließ sie unter die Halsschnüre von Vanyes Rüstung gleiten, schnitt die Fäden mühelos auf.
»Ein Drittel der Nhi ist bei Irn-Svejur gestorben!« sagte Erij keuchend. »Das war dein Werk – und das ihre. Wo ist sie?«
Vanye schluckte unter der scharfen Klinge. Er konnte nicht antworten. Instinktiv rang er nach Atem und erstarrte vor Anstrengung zitternd, als er Feuchtigkeit an seinem Hals herabrinnen spürte. Schmerz begleitete die Kante der Klinge, die leicht angehoben wurde.
»Antworte!« fauchte Erij.
»Leth.« Vanye bewegte einen Arm, der sich so schwer anfühlte wie sein ganzer Körper.
»Qujal -
Männer aus Leth haben sie gefangen – sie soll ihnen sagen, was sie weiß, Erij – Erij, nein, töte mich nicht. Sie werden ihr Wissen erringen – das
qujalin-
Wissen – Thiyes Wissen – zusammen – gegen uns.«
Der Druck der Klinge ließ nach, aber sie lag noch über ihm. Die schwache Hoffnung, die Erijs Interesse in ihm auslöste, ließ ihn in Schweiß ausbrechen. Erij hinderte ihn am Durchatmen; er hatte das Gefühl, daß ihm die Sinne schwanden. »Und du, Bastard?« fragte ihn Erij. »Was tust du hier so einsam und allein?«
»Hjemur – die Quelle. Das kann sie aufhalten. Ich soll Thiye töten – Ra-hjemur erobern. Erij, laß mich ziehen!«
»Bastard, ich habe dich seit Irn-Svejur verfolgt. Die anderen hatten Angst vor Hjemur und vor Morgaines Waffen, aber ich habe ihnen geschworen, ich würde dir überallhin folgen und ihnen deinen Kopf bringen. Lieber würde ich dich bei lebendigem Leib zurückholen, aber da ich einhändig bin, wird mir das nicht gelingen. Für Nhi und für Myya, für San und Torin, vor allem für den Nhi-Klan und seine Toten – dafür will ich es tun. Dann werde ich feststellen, wie sich dieses Geschenk, das du mir gemacht hast, am besten nutzen läßt. Solange ich diese Waffe habe,
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