Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
getötet haben mußte, indem sie den Zauber durchbrach, der sie an die Erde fesselte. Nun konnten sie gehen, wohin ihr Geschick sie verdammte; nicht länger an ihren König gebunden, konnten sie sich nun vom Sturm davontreiben lassen.
Doch um den Hals trug sie die Messingglieder von Bajen und Sojan, den Zwillingskönigen, die den Reichtum fördern sollten, außerdem Anlas Silberring für die Frömmigkeit, dazu das Muschelstück, das für den Meeresherm Sith war, ein Zauber gegen Ertrinken, den Dirstein, der das Fieber abwehren sollte, das Kreuz der Barrow-Könige, das die allgemeine Sicherheit förderte, und den Eisenring Arzads, den wohlmeinenden Gefährten der übelwollenden siebenten Macht... bis hin zu Morgen-Ang-haran von der weißen Möwenfeder, ein Talisman, den Barrower bei sich trugen, wohingegen die Sumpfbewohner damit nur ihre Fenster und Türen schützten. Durch diese Dinge wußte sich Jhi-run gegen alles Böse abgesichert, das von den Winden herbeigetragen werden mochte; sie klammerte sich an sie und versuchte sich etwas von ihrer Situation abzulenken.
Sie wartete, und der Tag verlor sein undurchdringliches Dämmerlicht und machte einer stellenlosen Nacht Platz, und jetzt war es noch leichter, sich die Ängste zu Herzen zu nehmen. Der Regen trommelte erbarmungslos hernieder, und sie saß noch immer fest, die Strömungen waren für ihr leichtes Boot viel zu stark.
Irgendwo in einem anderen Bereich der Hügel waren ihre Cousins und Onkel jetzt gleichermaßen untergekrochen, das wußte sie; vermutlich ging es ihnen aber besser. Sie hatten am Waldrand Holz sammeln wollen und saßen nun wahrscheinlich an einem warmen Feuer in den Ruinen auf Nias Hügel und würden sich erst wieder von der Stelle rühren, wenn der Regen aufgehört hatte. Niemand würde Jhirun suchen kommen; sie war eine Barrowerin und mußte Verstand genug haben, um genau das zu tun, was sie getan hatte. Man würde sich zutreffenderweise sagen, daß ihr nicht mehr zu helfen war, wenn sie ertrunken war, und daß sie eben nicht ertrinken würde, wenn sie angemessene Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte.
Aber sie fühlte sich einsam und hatte Angst unter dem Donner, der über ihr von Pol zu Pol grollte. Schließlich ließ sie das aufgestemmte Boot ganz über sich herabfallen, um den störenden Wind abzuwehren, und wickelte sich noch fester in ihren Lederschutz. Der Regen trommelte auf das Boot, und das Geräusch war zum Verrücktwerden.
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Endlich hörte der Regen auf, und nur noch das Rauschen des Wassers war zu hören. Jhirun erwachte aus einem kurzen Schlaf und spürte ihre Füße nicht mehr. Sie nieste heftig, stemmte das schützende Boot hoch, sah sich um und stellte fest, daß die Wolken weitergezogen waren und einen klaren Himmel und die Monde Sith und Anli zurückließen, die die Nacht beleuchteten.
Sie drehte das Boot wieder auf die Unterseite, richtete sich taumelnd auf und streifte ihr triefendes Haar zurück. Das Wasser stand noch immer hoch, und im Norden war das Zucken der Blitze noch nicht erloschen — das wirkte irgendwie unheildrohend, denn zuweilen kamen die Regengüsse wieder, zurückgeschleudert von den unsichtbaren Bergen Shiuans, um sich wieder über Hiuaj auszulassen.
Doch im Augenblick herrschte Frieden, Zufriedenheit über den einfachen Umstand, daß sie überlebt hatte. Jhirun ballte die erstarrten Hände, wärmte sie sich in den Achselhöhlen und nieste erneut. Irgend etwas drückte ihr gegen die Brust, und sie tastete danach und dachte sofort an die Möwe, als die Finger das warme Metall berührten. Sie zog das Gebilde heraus. Die zarten Linien schimmerten im Mondlicht, makellos und lieblich, und erinnerten sie an die Schönheit, die sie nicht hatte retten können. Liebevoll betastete sie die Figur und steckte sie sich wieder ins Wams, traurig um den verlorenen Schatz, bekümmert bei dem Gedanken an all die Dinge, die sie nicht hatte retten können. Dieses eine Stück gehörte ihr: die Cousins konnten es ihr nicht nehmen, dieses schöne Ding, dieser Lohn für eine Nacht des Elends. Sie fühlte, daß ihr die Figur Glück bringen würde. Sie hatte eine Sammlung solcher Gegenstände, Bilder auf Tonscherben, nutzlose Siegelsteine, Dinge, die niemand sonst haben wollte, aber ein Stück aus Gold — nun, daran zu denken hatte sie nicht gewagt. Sie hatten recht, und sie war im Unrecht, und das wußte sie, denn die ganze Siedlung profitierte von dem Gold, das zum Tauschhandel mitgenommen wurde.
Nicht aber die Möwe,
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