Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
niemals die Möwe!
Anstelle des Lohns würde sie eine Tracht Prügel bekommen, wenn ihre Verwandten jemals dahinterkamen, wieviel Gold sie nicht aus der Flut gerettet hatte, wenn sie ihnen von dem König mit der goldenen Maske berichtete, die sie dem Wasser überlassen hatte. Sie wußte, daß sie nicht so gut abgeschnitten hatte, wie es vielleicht möglich gewesen wäre, aber...
... Aber, so sagte sie sich, wenn sie ihre Geschichte so gestaltete, daß sie dem Eindruck nach alles gerettet hatte, was es dort zu finden gab, dann würde ein paar Tage lang für Jhirun Elas-Tochter nichts zu gut sein. Die anderen mochten ihre Einstellung zu ihr sogar überdenken, hatte man das Mädchen doch oft genug verwünscht, weil es angeblich Unglück brachte und seinen Mitmenschen nichts Gutes wünschte. Wenigstens würde sie freie Wahl haben unter den Erträgen des nächsten Tauschhandels am Junai; und sie würde — ihre Fantasie bemächtigte sich der schönsten Sache, die sie jemals hatte besitzen wollen — einen wunderschönen Ledermantel aus Aren wählen, ein mit Stickereien verzierter und mit Fell gesäumter Mantel, ein Mantel, den sie im Hause wie auch auf der Heimatinsel tragen konnte, doch nie draußen bei schlechtem Wetter, ein Mantel, in dem sie tun konnte, als wäre Barrow-Feste Ohtij-in, in dem sie die große Dame spielen konnte. Wenn sie heiraten mußte, würde es eine großartige Sache sein, dermaßen herausgeputzt zwischen ihren Tanten am Herd zu sitzen, mit einem heimlichen Stück Gold am Herzen, die Erinnerung an einen König.
Und Fwar würde dabeisein.
Jhirun fluchte bitterlich und löste sich von dem schönen Traum. Den Mantel mochte sie wohl erringen, doch Fwar verdarb ihr die Freude daran, verdarb ihr alle Träume. Ihr Bett teilend, würde er die Möwe finden und ihr nehmen, würde sie zu einem Ring für den Tauschhandel einschmelzen — und sie schlagen, weil sie das Stück für sich behalten hatte. Sie wollte nicht daran denken. Sie nieste ein drittesmal, ein leises, unterdrücktes Geräusch, denn es war still in der Nacht, und sie wußte, daß sie um ein Fieber nicht herumkam, wenn sie die Nacht stillsitzend verbringen mußte.
Sie schritt auf und ab und bewegte dabei die Gliedmaßen, so gut es ging, und faßte schließlich den Entschluß, sich aufzuwärmen, indem sie ihr Gold von der Hügelkuppe zum Boot herabholte. Sie erstieg den Hang, wobei sie auf dem glatten Gras oft ausglitt und sich an den steilsten Stellen an Grasbüscheln festhalten mußte. Sie fand ihren Schatz am Stehenden Stein, wie sie ihn zurückgelassen hatte.
Sie warf den Kopf zurück und suchte die Umgebung unter den beiden Monden ab, die Stelle, wo der andere Hügel gestanden hatte, von dem kaum noch ein Drittel zu sehen war. Sie starrte über die weiten Wasserflächen, die im Mondlicht tanzten, und auf das Blitzen im Süden.
Und sie blickte zu Anlas Krone hinüber.
Der Berg schimmerte in einem grellen Licht, wie das Todesleuchten, das zuweilen über dem Sumpf schwebte. Jhirun rieb sich die Augen und betrachtete die Erscheinung, während sich kalte Angst in ihrem Magen breitmachte.
Auf Anlas Hügel gab es nur Steine und Gras, nichts befand sich dort, das von dem Licht hätte in Brand gesteckt werden können, außerdem fehlte dem Glanz die Röte eines natürlichen Feuers. Es war ein gespenstisch kaltes Leuchten, ein Lodern von Hexenlicht über den Steinen der Krone.
Beinahe fehlte ihr der Mut, noch einen Augenblick auf dem Gipfel auszuharren und ihr kostbares Gold einzusammeln. Sie kam sich nackt und schutzlos vor, und der Stehende Stein, Schwesterstein zu den Erhebungen auf Anlas Krone, überragte sie wie ein lauerndes Wesen.
Aber sie kniete nieder und raffte soviel Gold zusammen, wie sie tragen konnte, glitt zum Boot hinab, tat die Ladung an Bord und stieg wieder empor, um noch mehr zu holen, und noch einmal und noch einmal. Und wenn sie zu Anlas Hügel hinüberblickte, geisterte das Licht dort noch immer herum.
Jirans Hügel bot nun keinen Schutz mehr vor den unbekannten Dingen, die da auf Anlas Krone lauerten: der Hügel war viel zu nahe, noch im Randgebiet der Absonderlichkeit, die sich dort tat. Sie wagte auch nicht, bis zum Morgen zu warten; die Sonne selbst würde keinen Trost bringen, sondern ihr eher wie ein starrendes Auge vorkommen, das ihre Gegenwart viel zu nahe bei Anlas registrierte.
Da waren die Gefahren der Strömung besser zu ertragen: gegen das Wasser vermochte sie ihr Können zu setzen, im Umgang mit der
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