Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
dem Myya-Klan geflohen war, sagte ihm, daß er mit solchen Zeichen nur Feinde hinter sich herlocken konnte. Menschen wohnten in diesem Land, und sie taten heimlich und waren verängstigt und wollten sich nicht zeigen; deshalb gab es hier Dinge, die der Mensch wohl zu Recht fürchtete.
Trotzdem blieb Vanye in der Mitte der Straße; seine Angst, verfehlt zu werden, war größer als die vor dem Risiko, daß man ihn fand.
Und dann kam die Zeit, da seine Kraft versagte. Was sich in seiner Brust als Verkrampfung bemerkbar gemacht hatte, schwoll an und nahm ihm den Atem. Er sank auf die Straße nieder und atmete vorsichtig ein, er betastete Rippen, die womöglich gebrochen waren, und von Zeit zu Zeit zog ein seltsamer Nebel durch sein Gehirn. Es gab Perioden, da merkte er, daß er nicht mehr wußte, was ringsum vorging; aber gleich darauf war er wieder auf den Beinen und wanderte weiter, ohne noch zu wissen, wie er aufgestanden war oder wie weit er gekommen war.
Es gab danach noch viele solcher Lücken, Perioden, da er nicht wußte, wohin er ging, während sein Körper weiterfunktionierte, der Notwendigkeit gehorchend, von der Straße geleitet.
Endlich stand er vor einer Kluft im Weg; ein Wasserlauf hatte sich Bahn gebrochen. Er starrte die Erscheinung an und sank am Wasser nieder mit dem Gedanken, daß er wohl ertrinken würde, wenn er das Wasser zu durchqueren versuchte. Die Kraft entwich ihm, die Erschöpfung einer schlaflosen Nacht streckte ihn flach auf dem schlammigen Hang aus. Ihm war kalt. Aber das fand er nicht mehr wichtig.
Ein Schatten fiel auf ihn, Stoff raschelte. Er erwachte hochfahrend und schlug um sich, als er nackte Füße und einen braunen Rock entdeckte; im nächsten Augenblick prallte ein Stab gegen seinen Arm — und hätte den Kopf getroffen, wenn er nicht so schnell reagiert hätte. Er warf sich auf den Angreifer, und das Gewicht seiner Rüstung traf auf dürres Fleisch; sie ging zu Boden, noch immer nach seinem Gesicht zielend, und er gab den rückhändigen Angriff so hart zurück, daß er die Seite ihres Gesichts traf. Jhirun. Er erkannte sie, als ihr Gesicht sich endlich aus dem Schock des Angriffs herausschälte.
Der Schlag hatte sie betäubt, obwohl er ihn im letzten Augenblick abgeschwächt hatte; und als er sie so vor sich sah, die mehr über Morgaine wissen mochte, erfüllte ihn die Angst, daß er sie getötet hatte. Er hob sie hoch und schüttelte sie verzweifelt.
»Wo ist sie?« fragte er, und seine Stimme war ein nicht wiederzuerkennendes Flüstern; Jhirun holte schluchzend Atem, wehrte sich und wandte immer wieder ein, daß sie es nicht wisse.
Gleich darauf kam Vanye zu sich und erkannte, daß das Mädchen zum Lügen gar nicht mehr fähig war; die Angst ballte sich in ihm, so daß er kaum die Hände öffnen konnte; er zitterte am ganzen Körper. Und als er sie losgelassen hatte, sank sie schluchzend am schlammigen Straßenrand nieder.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht«, sagte sie immer wieder unter Tränen. »Ich habe sie nicht gesehen, auch die Pferde nicht — nichts. Ich bin nur geschwommen und geschwommen, bis ich aus der Strömung kam, das ist alles.«
Er klammerte sie an sich, die einzige Hoffnung, die er noch hatte, die Erkenntnis, daß Morgaine schwimmen konnte, obwohl sie eine Rüstung trug; Jhirun hatte überlebt, und er ebenfalls, obwohl er nicht schwimmen konnte. Er entschied sich für die Hoffnung und kam torkelnd hoch, wobei er Jhiruns Stock an sich nahm. Dann begann er die andere Seite des Wasserlaufs zu erkunden und ertastete mit dem Stock die flachste Stelle. Er stand bis zur Hüfte im Wasser, ehe der Boden wieder anstieg, dann erklomm er die andere Seite, wobei er sich schwer auf den Stab stützte.
Etwas plätscherte hinter ihm. Er wandte sich um und sah Jhirun durch den Kanal waten, die Röcke eine feuchte Blume um ihre Hüften. Beinahe war der Strom zu tief für sie, doch sie kämpfte sich keuchend durch die Strömung und stieg erschöpft an Land.
»Geh zurück!« sagte er barsch. »Ich ziehe weiter. Geh nach Hause, wo immer das liegen mag, du kannst dich glücklich schätzen.«
Sie mühte sich weiter das Ufer herauf. Ihr Gesicht, das schon schlimme Wunden aufwies, zeigte frisches Rot an der Stirn; das ging auf seinen Arm zurück Das Haar hing ihr in unansehnlichen Strähnen herab. Sie erreichte die Weghöhe und schüttelte sich das Haar wieder über die Schulter.
»Ich ziehe nach Shiuan«, sagte sie mit bebendem Kinn. »Geh, wohin du willst. Dies
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