Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
ertrinken.«
»Meine Schwester ist bereits ertrunken«, gab sie zurück. »Mir passiert das nicht.« Ein Zittern durchlief ihren Körper, ihr Blick richtete sich auf etwas hinter ihm. »Der Hnoth kommt und die Monde, und das Hochwasser, und ich will das alles nie wiedersehen. Ich möchte nicht mehr in Hiuaj sein, wenn es kommt.«
Ihre Worte beunruhigten ihn: er verstand sie nicht, doch es machte ihm zu schaffen, dieses Entsetzen vor den Monden, die er ebenfalls nur erschaudernd am Himmel wahrnahm. »Ist Shiuan denn besser dran?« fragte er schließlich. »Du weißt es nicht, kennst das Land nicht. Vielleicht stehen die Dinge dort noch schlechter.«
»Nein.« Ihr Blick begegnete dem seinen. »Nach Shiuan wandert das ganze Gold, dort wächst das Getreide; niemand hungert dort oder muß arbeiten wie die Barrower.«
Nachdem er Hiuaj kennengelernt hatte, bezweifelte er diese Aussage, doch er hielt es nicht für nett, mit ihrem Wahn auszuräumen, wenn die Wahrscheinlichkeit bestand, daß sie beide nicht lange genug leben würden, um die Wahrheit kennenzulernen. »Warum ziehen dann nicht alle Hiua fort?« fragte er. »Warum macht es dir deine Sippe nicht nach und wandert aus?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich nehme an, man glaubt nicht daran, daß es wirklich so kommen wird, daß es die Familie beeinträchtigen wird; vielleicht glaubt man auch, daß es nicht wichtig ist, wenn das Ende kommt. Die ganze Welt wird sterben, das Wasser wird alles verschlingen. Aber sie, die Lady...« In ihre Augen kehrte das Funkeln zurück, eine Frage, die ihr auf den Lippen lag; er sagte nichts, er wartete, er fürchtete eine Frage, die er nicht beantworten konnte. »Sie hat Macht über die Brunnen.«
»Ja«, räumte er ein; gewiß hatte sie das bereits vermutet. »Und du?«
Er zuckte unbehaglich die Achseln.
»Dieses Land«, sagte sie, »ist fremd für dich.«
»Ja.«
»Die Barrow-Könige sind auf diesem Weg gekommen. Sie sagen, daß es jenseits der Brunnen gewaltige Berge gegeben hätte.«
»In meinem Land«, sagte er und dachte voller Sehnsucht daran, »gab es solche Berge.«
»Führe mich an diesen Ort.« Ihre Faust öffnete sich über seinem Herzen; in ihren Augen stand ein solcher Ernst, daß es ihm weh tat, sie anzusehen, und sie begann auf ihm zu zittern. Er legte ihr die Hand um die Schultern und wünschte, ihre Forderung wäre irgendwie erfüllbar.
»Ohne Morgaine«, sagte er, »bin ich ebenfalls verloren.«
»Du glaubst, daß sie nach Abarais kommt, zu den Brunnen dort.«
Er antwortete nicht, sondern zuckte nur die Achseln und wünschte, daß Jhirun nicht soviel über sie beide wüßte.
»Was will sie tun?« fragte Jhirun im gleichen Atemzug, und er spürte die Anspannung ihres Körpers. »Warum ist sie überhaupt gekommen?«
Sie war von einer Hoffnung oder Angst besessen, die er nicht verstand; er sah Morgaine in Jhiruns Augen, die ihn mit einem Blick fixierten, von dem er sich nicht losreißen konnte. Sie nahm an, daß jenseits der Hexenfeuer des Tores die Sicherheit winkte; so mußte es ihr, diesem ganzen Land erscheinen.
»Frag Morgaine«, sagte er, »wenn wir wieder zusammen sind. Was mich betrifft, ich halte ihr den Rücken frei und gehe, wohin sie geht; und ich stelle ihr keine Fragen und beantworte auch keine über sie.«
»Wir nennen sie Morgen«, sagte Jhirun, »und Angharan. Meine Vorfahren kannten sie — die Barrow-Könige. Sie haben auf sie gewartet.«
Ein kalter Schauder durchlief seinen Körper.
Hexe,
so wurde Morgaine in seiner Heimat genannt. Sie blieb jung, während drei Menschengenerationen lebten und zu Staub wurden; und was er von ihrer Herkunft wußte, beschränkte sich auf die Information, daß sie nicht von seiner Art und nicht in seinem Land geboren war.
Wann war dies?
wollte er fragen und wagte es nicht. War sie damals allein? Sie war nicht allein nach Andur-Kursh gekommen, doch ihre Gefährten waren dort getötet worden.
Qujal,
so wurde sie von den Menschen genannt; sie schwor, daß sie es nicht war. Legenden beschrieben sie als unsterblich; er wollte nicht allen glauben, ebensowenig wie er all das Böse akzeptierte, das ihr vorgeworfen wurde, und er stellte ihr keine Fragen.
Er war ihr gefolgt, wie es andere getan hatten, die längst zu Staub geworden waren. Sie sprach von der Zeit wie von einem Element wie Wasser oder Luft, als könnte sie nach Belieben in ihren Strom einwirken und dabei die Natur auf den Kopf stellen.
Panik ergriff von seinem Herzen Besitz. Er war es nicht
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