Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
gewöhnt, seine Gedanken in solche Richtungen schweifen zu lassen. Morgaine hatte dieses Land nicht gekannt; an diesen tröstenden Gedanken hielt er sich. Sie hatte sich bei Jhirun nach dem Namen und der Beschaffenheit dieser Welt erkundigen müssen und hatte einen Führer gebraucht.
Ein Führer für dieses Zeitalter, dachte er tief im Innern, so wie sie einmal in Andur vor einem Wald gestanden hatte, der gewachsen war, seit sie diesen Pfad zum letztenmal geritten war.
»Komm!« sagte er brüsk zu Jhirun und richtete sich auf. »Komm!« Er gebrauchte den Stab, um sich auf die Füße zu stemmen, und zog sie an der Hand empor und versuchte dabei die Gedanken abzuschütteln, die ihn bedrängten.
Als sie die Wanderung auf der Straße fortsetzten, ließ Jhirun seine Hand nicht los; das war ihm nach einiger Zeit lästig, so daß er den Arm um sie legte und sie führte und versuchte, die lästigen Gedanken durch diesen Kontakt mit einem anderen Menschen zu bezwingen.
Jhirun schien damit zufrieden zu sein; sie sagte nichts, behielt ihre Gedanken für sich, doch die Blicke, die sie ihm zuwarf, waren anders — in ihnen lag neue Hoffnung, wie er mit einem stechenden Schuldgefühl erkannte, Hoffnung, die er ihr eingegeben hatte. Sie schaute oft zu ihm auf und berührte zuweilen ihr Halsband — eine sicher unbewußte Geste —, das Band mit dem Kreuz und anderen Gegenständen, die er nicht kannte; oder sie berührte das Mittelteil ihres Wamses, wo sich die goldene Figur befand, die er ihr zurückgegeben hatte — ein Bauernmädchen, das ein solches Stück besaß, ein Brocken Gold, der gar nicht zu ihrem primitiven Kleid und den abgearbeiteten Händen paßte.
Meine Vorfahren,
hatte sie gesagt,
die Barrow-Könige.
»Hast du einen Klan?« fragte er plötzlich, und seine Worte ließen sie zusammenfahren: ihre Augen waren weit aufgerissen.
»Wir sind Mija«, sagte sie. »Ily ist ausgestorben. Es gibt nur noch Mija.«
Myya. Myya
und
Yla.
Sein Herz schien einige Schläge lang auszusetzen und sich dann schmerzhaft wieder zu betätigen. Die Hand fiel von ihrer Schulter, als er an Morija dachte und daran, daß dieser Klan ihn zugrunde gerichtet hatte, seine Blutfeinde, und die untergegangenen Yla, die vor langer Zeit und vor den Nhi in Morija geherrscht hatten.
»Myya Geraine Elas-Tochter«, murmelte er und gab ihrem fremdartigen Namen den Akzent von Erd, das zwischen Bergen lag, die ihr Volk beinahe vergessen hatte.
Sie blickte ihn sprachlos an, barfuß und in einem Kleid aus gröbster Wolle, mit verfilztem Haar und zerschundenem Gesicht. Sie verstand ihn nicht. Was immer es zwischen ihm und den Myya an Problemen gab, es hatte mit Jhirun Elas-Tochter nichts zu tun; die Blutfehde, die die Myya gegen ihn betrieben, hatte hier keine Wirkung, hier im feuchten Ödland Hiuajs, noch dazu gegen eine Frau.
»Komm!« wiederholte er, preßte sie noch stärker an sich und setzte sich wieder in Bewegung. Die Klans waren wegen ihrer Temperamente bekannt: so impulsiv die Chya, so stur die Nhi waren, so verstohlen und abweisend gaben sich die Myya — sie waren von einer Grausamkeit, die ihm sein ganzes Leben lang sehr nahe gewesen war, denn seine Halbbrüder waren Myya und die Frau, die sie zur Welt gebracht hatte, und nicht ihn.
Die Myya verstanden zu hassen und warteten lange auf ihre Rache; doch er konnte sich solche Dinge bei Jhirun nicht vorstellen: sie war Gefährtin auf einer Straße, die ihm völlig fremd war und die endlos zu sein schien, in einer Stille, die ansonsten nur mit den Geräuschen des Windes und des gluckernden Wassers gefüllt war. Es gab schlimmere Dinge als einen Feind. Sie umgaben ihn auf allen Seiten.
Als sich das Licht am Abend zu goldenen und roten Streifen legte, durchschritten sie eine Zone, da sich der Sumpf ausgebreitet hatte und nur noch wenige Bäume zu sehen waren. Schilf wuchs neben der Straße, und riesige Schwärme weißer Vögel erhoben sich in nervösen Wolken, sobald die Menschen näher kamen. Schlangen zogen gekrümmte Pfade durch die Teiche stehenden Wassers und brachten die Schilfhalme in Bewegung.
Vanye schaute zu den Vögeln empor, von denen sie schrill beschimpft wurden, und fluchte sehnsüchtig, denn der Hunger machte sich schmerzhaft bemerkbar.
»Gib mir ein Stück Leder«, bat Jhirun im Gehen, und neugierig kam er ihrer Bitte nach. Er löste einen Lederstreifen von dem Ring an seinem Gürtel, ein Stück Schnur, das er gewöhnlich zum Halftern von Pferden verwendete. Er sah zu, während
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