Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
Beiseiteschieben einer Vorsicht, die ihr bisher das Überleben gesichert hatte. Eine Veränderung war an ihr zu bemerken, etwas Fremdes, Entrückendes. An diesem Ort voller vertrauter Dinge bildete sie den Unterschied. Er beobachtete sie im schwachen Licht, schlank und anmutig wie die
qhal
in ihren weißen Gewändern, dann ihr Gesicht, als sie ihn anschaute: noch kürzlich hatte darauf die Anspannung des Schmerzes gelegen.
So knapp,
dachte er in plötzlichem Schmerz, so
knapp daran vorbei, sie zu verlieren; vielleicht ist das die Last, an der sie trägt.
»Vanye?«
Er griff nach den Gurten seiner Rüstung, machte sich ungeschickt ans Werk, vermochte sie zu öffnen. Sie half ihm beim Ablegen, zog ihm das schwere Gewicht des Kettenhemdes ab und legte es beiseite. Er schnallte das Brustwams ab und streifte es herunter, dann ließ er sich seufzend auf die Matte gleiten. Sie reichte ihm Wasser zu trinken, und Brot und Käse, von denen er nur wenige Brocken hinunterbrachte. Er war es zufrieden, an der Stütze der Unterkunft zu lehnen und sich auszuruhen. Es war warm; sie war bei ihm. Im Augenblick genügte ihm das.
»Mach dir wegen der anderen keine Sorgen«, sagte sie. »Lellin und Sezar werden uns warnen, sollte eine Gefahr heraufziehen, und die
arrha
weigern sich, Hand an sie oder mich zu legen. – Oh, es tut gut, dich wiederzusehen, Vanye!«
»Aye«, murmelte er, denn seine Kehle war wie zugeschnürt, so daß er gar nichts mehr sagen konnte.
Sie saß auf der Matte neben dem Kohlebecken und hatte die Hände um ein Knie verschränkt. Einen Augenblick lang betrachtete sie ihn, als versuche sie sich Einzelheiten einzuprägen. »Du bist verwundet worden.«
»Das geht vorbei.«
»Dein Sturz am Fluß... «
»Ich bin blind in die Falle getappt.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich wollte dich warnen – vor meiner Gesellschaft.«
»Das ist dir gelungen.« Ihr Gesicht wurde noch sorgenvoller, nahm sogar einen Ausdruck der Bestürzung an. »Vanye. Sagst du mir, was geschehen ist?«
»Mit Roh, meinst du.«
»Mit Roh. Und über all die anderen Dinge, von denen du weißt, daß ich sie wissen müßte.«
Er senkte den Kopf und blickte wieder auf. »Ich habe gegen deinen Befehl verstoßen. Das weiß ich. Ich konnte ihn nicht töten. Ich gestehe es dir – es war nicht das erstemal. Ich erklärte mich ihm gegenüber einverstanden, mit dir zu sprechen – er bat mich um nichts anderes, nicht einmal darum, aber ich sagte ihm, ich würde es tun; ich stand in seiner Schuld. Er hat keine Verbündeten mehr, keine Hoffnung – außer der, zu dir zu kommen.«
»Und das glaubst du ihm.«
»Ja. In diesem Punkt – glaubte ich ihm.«
Ihre Hände spannten sich um das Knie, bis die Knöchel weiß wurden. »Und was erwartest du jetzt von mir?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht,
liyo.«
Er bezeugte ihr die volle Unterwerfung, eine Geste, die sie normalerweise verabscheute, die aber in diesem Augenblick angebracht war. »Ich sagte ihm, ich würde mit dir sprechen. Wirst du das zulassen, wirst du dir anhören, was ich zu sagen habe? Ich habe in dieser Hinsicht mein Wort gegeben.«
»Mach dir keine Hoffnung, daß das einen Unterschied macht. Meine Entscheidungen lassen sich nicht nach dem treffen, was ich oder du
gern
täten.«
»Ich bitte dich nur, mich anzuhören. Es ist nicht einfach zu erklären. Die Situation ist nicht einfach. Und ich habe dich bisher kaum jemals um etwas gebeten.«
»Das ist wahr«, sagte sie leise, atmete tief ein und wieder aus. »Ich höre zu. Ich höre immerhin zu.«
»Lange?«
»So lange du willst. Bis die Sonne aufgeht, wenn du so lange brauchst.«
Einen Augenblick lang legte er den Kopf hinter die Hände und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Seine Geschichte konnte keinen Sinn ergeben, wenn er sie nicht am Anfang beginnen ließ – und das tat er, mit Dingen, die mit Roh eigentlich nichts zu tun hatten. Sie musterte ihn verwirrt, aber sie hörte zu, wie sie es versprochen hatte; in ihren grauen Augen verflog der Zorn, sie richteten sich nur noch auf die Dinge, die er ihr mit stockenden Worten vortrug: Dinge über sich selbst und seine Heimat, Kleinigkeiten, die sie noch nicht gewußt hatte, die zu erzählen ihm aber Qualen bereitete: wie das Leben eines Jungen in Morija aussah, der nur zur Hälfte Chya war, die ewigen Auseinandersetzungen, die es zwischen Nhi und Chya gegeben hatte, und wie es kam, daß er als Bankert eines Nhi-Lords geboren wurde. Und sogar aus der Zeit, als
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