Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
doch tief in seinem Herzen lauerte ein Verdacht, ein langgehegter Verdacht, daß Morgaine über Rohs Doppelnatur von Anfang an mehr gewußt hatte, als sie ihm offenbaren wollte. Um des Friedens willen, der zwischen ihnen herrschte, wagte er nicht, sie in diesem Punkt herauszufordern oder sie eine Täuscherin zu nennen – denn er fürchtete tatsächlich, daß sie ihn getäuscht hatte. Sie mochte ihn nicht an ihrer Seite wissen wollen, wenn sie annehmen mußte, daß seine Treue womöglich noch anderen Dingen galt außer ihr; vielleicht hatte sie ihn sogar absichtlich in die Irre geführt, um Rohs Tod auszulösen: und würde er sie eines solchen Verhaltens für fähig erachten, mußte etwas in ihm ersterben. Er wollte so etwas nicht mit Gewißheit herausfinden – so stark war sein Wissensdrang in der anderen Sache nicht. Rohs Charakter konnte bei seinen Entscheidungen keinen Unterschied machen; Vanye wollte aus eigenen Gründen Rohs Tod, Gründe, die nichts mit Rache zu tun hatten; und wenn Morgaines Streben in diese Richtung ging, so band ihn der Eid; ein
ilin
durfte keinen Befehl verweigern, selbst wenn er gegen Freund oder Familienmitglied gerichtet war: um seiner Seele willen durfte er das nicht tun. Vielleicht wollte sie ihm klare Erkenntnisse vorenthalten – vielleicht sah sie in ihrer Täuschung einen Akt der Freundlichkeit. Er war überzeugt, es war nicht die einzige Täuschung, die sie ihm gegenüber angewandt hatte.
Er kam endlich zu dem Schluß, daß es ihm oder Roh keinen Vorteil bringen konnte, das Thema jetzt anzuschneiden. Es drohte ein Kampf. Menschen starben und würden sterben – und er stand auf der einen und Roh auf der anderen Seite, und die Wahrheit änderte daran nichts.
Wenn einer von ihnen tot war, bestand auch keine Notwendigkeit mehr, die Wahrheit zu erfahren.
4
Während der Nacht flammten überall im Lager furchtlos die Feuerstellen, und auf einer Lichtung loderte sogar ein großer Scheiterhaufen, an dem zum Klang von Harfen Lieder gesungen wurden. Männer stimmten Melodien an, die zuweilen an die Kursh erinnerten: die Worte waren
qhalur,
die Sänger aber Menschen, und einige Melodien klangen schlicht und angenehm und ganz bodenständig-normal. Die Töne lockten Vanye zum Zuhören ins Freie, denn ihr Zelt stand dicht an diesem Ort, und die Versammlung erstreckte sich bis zu ihrem Eingang. Morgaine trat zu ihm; und er holte die Decken ins Freie, damit sie ähnlich wie die anderen Lagerbewohner dasitzen und zuhören konnten. Männer kamen und brachten ihnen und den anderen zu essen und zu trinken, denn das Abendessen wurde wie in Mirrind für alle gemeinsam bereitet und unter den Sternen ausgeteilt. Dankbar griffen sie zu und fürchteten kein Rauschmittel oder Gift.
Die Harfe wurde schließlich an
qhalur-
Sänger weitergegeben, woraufhin sich die Musik veränderte. Nun klang sie wie ein Brausen, und ihre Harmonie mutete seltsam an. Lellin sang, und eine junge
qhalur-
Frau summte die zweite Stimme, ein Auf und Ab auf der unheimlichen Tonleiter, die einem Menschen den Schauder über den Rücken jagen konnte.
»Wunderschön«, flüsterte Vanye Morgaine zu, »obwohl es nicht menschlich ist.«
»Es gab eine Zeit, da du so etwas nicht hättest ertragen können.«
Sie hatte recht, und die Erkenntnis belastete ihn, um so mehr, wenn er Morgaine ansah, die selbst in den Dingen, die sie vernichten wollte, noch Schönheit fand – die diese Gabe stets besessen hatte.
Dies wird vergehen,
dachte er und sah sich im Lager von
qhal
und Menschen um.
Es
wird vergehen, wenn sie und ich getan haben, weswegen wir hier sind, wenn wir die Macht der Tore aus der Welt geschafft haben. Es muß sich alles verändern. Wir werden dies alles so sicher vernichten, wie wir Roh vernichten werden.
Der Gedanke erfüllte ihn mit Trauer – mit derselben Trauer, die er oft in Morgaines Augen bemerkt und bis zu diesem Augenblick nicht richtig verstanden hatte.
Hinter ihnen entstand eine Bewegung. Morgaine drehte sich um, er machte es ihr nach; es war eine junge Frau, die sich verneigte und das Wort an sie richtete. »Lord Merir schickt mich«, flüsterte sie, um die Lauschenden in der Nähe nicht zu stören. »Bitte kommt!«
Sie standen auf und folgten der jungen Frau; sie nahmen sich eben noch die Zeit, ihre Decken ins Zelt zu legen. Morgaine nahm dabei ihre Waffen mit, während er darauf verzichtete. Die Führerin brachte sie zu Merirs Zelt. Eine einzelne Lampe brannte hier, und im Inneren saßen nur Merir und ein
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