Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
wir hier in größerer Gefahr als in jedem Lager, das wir bisher aufgeschlagen haben. Wir befinden uns hier im Shathan-Wald, und seine Korridore sind lang, und die
qhal
kennen sie bis ins Letzte, während uns diese Wege düster erscheinen. Es ist also gleich, ob wir hier schlafen oder draußen im Wald.«
»Wenn wir den Wald verlassen könnten, gäbe es doch nur die Ebenen als Zuflucht – und dort erst recht keine Deckung vor unseren Feinden.«
Sie unterhielten sich in der Sprache von Andur-Kursh und hofften, daß niemand sie verstünde. Die Shathana durften den Dialekt eigentlich nicht kennen, hatten sie doch gar keine Kontakte in jenes Land, wann immer die Tore dorthin geführt hatten; aber in diesem Punkt gab es eben keine absolute Sicherheit – nicht einmal die Gewißheit, daß keiner dieser großgewachsenen, lächelnden
qhal
zu den Feinden von der Azeroth-Ebene gehörte. Die Feinde waren nur Halblinge, doch in einigen hatte das Blut das Aussehen eines reinen
qhal
geschaffen.
»Ich gehe jetzt und kümmere mich um die Pferde«, sagte Vanye schließlich; er hielt es in dem kleinen Zelt nicht mehr aus. »Mal sehen, wie weit unsere Freiheit wirklich reicht.«
»Vanye«, antwortete sie. Er drehte sich um, zur Zeltöffnung geneigt. »Vanye, bewege dich sehr vorsichtig in diesem Spinnennetz. Wenn es hier Ärger gibt, könnten wir ihm nicht gewachsen sein.«
»Ich werde keinen Ärger machen,
liyo.
«
Er stand auf, ging nach draußen und sah sich im Lager um – dann ging er durch die baumverdunkelten Gassen zwischen den Zelten und versuchte die Richtung festzustellen, in die die Pferde geführt worden waren. Die Dunkelheit senkte sich herab, die Dämmerung kam hier früh und rasch, und die Lagerbewohner bewegten sich wie Schatten. Er schritt unbekümmert aus und wandte sich hierhin und dorthin, bis er vor den Bäumen Siptahs bleichen Umriß wahrnahm – und schlug die Richtung ein, ohne daß jemand ihn aufzuhalten versuchte. Einige Menschen starrten ihm nach, und zu seiner Überraschung durften die Kinder ihm folgen, die allerdings auf Distanz blieben – darunter
qhal-
Kinder, die nicht minder unbeschwert aussahen als die anderen; sie kamen nicht näher, zeigten sich aber auch nicht ungebärdig. Sie beobachteten ihn lediglich und hielten sich scheu zurück.
Er stellte fest, daß die Pferde gut versorgt worden waren. Das Sattelzeug hatte man ein gutes Stück über der Feuchtigkeit des Bodens verstaut, an Seilen von Ästen hängend. Die Tiere waren sauber und gestriegelt, jedes mit Wasser versorgt und offenbar auch mit Hafer, von dem einige Reste sichtbar waren...
Sicher aus den Dörfern eingetauscht,
dachte er –
oder als Tribut erhoben: Im Schatten des Waldes wächst kein Getreide, und so wie diese Leute aussehen, sind sie keine Bauern.
Er tätschelte Siptah die gefleckte Flanke und wich dem spielerischen Stoß gegen seinen Arm aus... der nicht nur spielerisch gemeint war: die Pferde waren zufrieden und hatten keine Lust, zu dieser späten Stunde womöglich noch in den Dienst gerufen zu werden. Er tätschelte der kleinen Mai den braunen Hals und kämmte ihr die Stirnlocke. Mit den Augen maß er die Länge der Zügel nach und versuchte festzustellen, ob die Tiere sich darin verstricken konnten: aber es stimmte alles. Vielleicht kannten sich diese Leute wirklich mit Pferden aus.
Schritte raschelten im Gras hinter ihm. Er drehte sich um. Lellin stand vor ihm.
»Du beobachtest uns?« fragte Vanye herausfordernd.
Die Hände in den Gürtel gestemmt, verbeugte sich Lellin, ein kurzes Vorzucken nur. »Ihr seid trotzdem unsere Gäste«, sagte er ernster als sonst.
»Khemeis,
durch die inneren Räte ist bekannt geworden – wie dein Cousin sterben mußte. Über so etwas sprechen wir nicht offen. Auch daß so etwas überhaupt möglich ist, verbreiten wir nicht weiter, aus Sorge, jemand könne sich von einem solchen Verbrechen angezogen fühlen – aber ich gehöre zu den inneren Räten und weiß Bescheid. Eine schreckliche Sache. Wir sprechen dir unser tiefempfundenes Mitgefühl aus.«
Vanye starrte ihn an. Zuerst glaubte er, der andere wolle ihn verspotten, dann aber erkannte er, daß Lellin im Ernst sprach. Er senkte bestätigend den Kopf. »Chya Roh war ein guter Mensch«, sagte er traurig. »Jetzt ist er kein Mensch mehr, er ist der schlimmste unserer Feinde. Ich kann ihn mir nicht mehr als Mensch vorstellen.«
»In dem, was dieser
qhal
getan hat, liegt allerdings ein negativer Umstand, eine Art Falle – denn
Weitere Kostenlose Bücher