Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
Lady sprach wie jemand, der es gewöhnt ist, angehört zu werden, und sie war vom alten Blute, mit grauen Augen und weißen Haaren, von Wächtern umringt, die ausnahmslos bei klarem Bewußtsein zu sein schienen. Vanye hielt sie für eine Festungsherrscherin aus der alten Zeit: nicht Sotharra wie Shien, vielleicht aber Domen oder Marom oder Arisith.
Offenbar war Hetharus Macht über die Shiua-Lords noch nicht gefestigt.
»Du bist zu leichtgläubig, Lady Halah«, sagte Hetharu. »Dieser Mann ist dazu fähig, die Hand zu beißen, die ihn füttert. Er hat Roh hereingelegt, der ihn eigentlich kennen müßte, ebenso meinen beklagten Bruder Kithan. Und möchtest du auf den Versuch verzichten, uns ebenso hinters Licht zu führen, Mensch?«
Vanye schwieg. Eine Diskussion mit Hetharu konnte ihm nichts bringen. Seine Hoffnung lag vielmehr in der Chance, den einen oder anderen seiner Untergebenen gegen ihn auszuspielen.
»Natürlich würdest du das gern tun«, übernahm Hetharu die Antwort für ihn und lachte. »Und so etwas hast du auch im Sinn. Du gehörst nicht zu den Menschen, die uns für die Behandlung danken, die sie erfahren haben – zuerst durch mich und jetzt durch Shien. Nimm dich vor diesem Mann in acht! Er ist keineswegs gebrochen, obwohl er wohl bemüht ist, diesen Eindruck zu erwecken. Sein Cousin meint, er verstünde nicht zu lügen; aber er weiß, wie man ein Geheimnis für sich behält, habe ich recht, Vanye von den Chya? Morgen-Angharans Geheimnisse... « Er gebrauchte ein Wort, das Vanye nicht kannte, dessen Bedeutung er aber ahnte, und er biß die Zähne noch fester zusammen und richtete den Blick durch Hetharu. »Ah, starr mich ruhig an! Wir kennen uns besser als die anderen, du und ich. Diese Morgen wird also vermißt. Wo war das?«
Er antwortete nicht.
»Drüben am großen Fluß«, sagte Shien. »Mitten in unserem Kernvorstoß in den Wald, getroffen von einem Hiua-Pfeil. Unsere Reiter waren ihr auf der Spur, und wenn sie sie bis jetzt nicht gefunden haben, dürfte sie die Verwundung kaum überleben. Mein Lord, in ihrer Begleitung waren ein
khal
und ein weiterer Mensch. Und das ist noch so ein Thema, auf das sich der Gefangene nicht einzulassen wünscht.«
»Kithan?«
Vanye senkte den Kopf und verbarg seine Überraschung, denn aus der Frage war zu schließen, daß Hetharus Bruder nicht mit durch das Tor gekommen war – womit er allerdings nicht gerechnet hatte...
Mein beklagter Bruder,
hatte Hetharu gesagt. Es tat ihm leid zu erfahren, daß Kithan nicht im Lager war, denn von ihm hatte er sich gewisse Vorteile erhofft; daß Kithan sich statt dessen auf seine Seite geschlagen hatte, war für Hetharu eine logische Schlußfolgerung. Er zuckte die Achseln.
»Sucht ihn!« befahl Hetharu. Ein nervöser Unterton lag in seiner Stimme, mehr Unruhe, als Hetharu normalerweise offenbarte.
Morgaines Waffen,
sagte sich Vanye plötzlich;
hier ist ein Mann, der seine Position mit allen Kräften verteidigen muß.
»Mein Lord«, sagte Shien, »meine Männer sind auf der Suche. Vielleicht haben sie sie schon gefunden.«
Daraufhin schwieg Hetharu einen Augenblick lang und biß sich auf der Unterlippe herum, und es bestand kein Zweifel an den stummen Botschaften, die zwischen ihm und Shien ausgetauscht wurden.
»Ich habe dir diesen Mann lebendig vorgeführt«, fuhr Shien leise fort. »Dazu mußte ich ihn der Gewalt der Hiua entreißen. Sonst befände er sich jetzt in anderen Händen, mein Lord.«
»Wir sind dankbar«, sagte Hetharu, doch seine Augen waren ausdruckslos kalt. Sie zuckten herum und richteten sich auf Vanyes Augen. »Nun also. Du befindest dich in einer jämmerlichen Lage, nicht wahr, Nhi Vanye? In dem Lager hier gibt es keinen Menschen, der dir nicht bei lebendigem Leibe die Haut abziehen wollte, wenn er dich in die Finger bekäme; man kennt dich gut, verstehst du das? Und dann sind da die Hiua, die Roh ergeben sind. Und deine Herrin kommt nicht hierher, wenn sie sich überhaupt noch irgendwohin begibt. Von Chya Roh kannst du auch kaum Freundschaft erwarten. Und wie sehr wir dich lieben, weißt du ebenfalls.«
»Und doch müßt ihr euch Rohs Gunst erhalten, nicht wahr, ihr Shiua-Lords?«
Zorn blinzelte in den Augen der anderen, und Wächter betasteten die Griffe ihrer Waffen. Hetharu aber lächelte nur.
»Es gibt gewisse Dinge, die wir im Hinblick auf Chya Roh unternehmen können«, sagte er. »Da er bisher aber der einzige Quell jenes Wissens gewesen ist, das wir benötigen, haben wir ihn mit
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