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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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ihn zu Hause neben das Herz-Jesu-Bild. Farîd mochte das Oberhaupt seiner Familie, aber er mochte die Fotos nicht; wenn er etwas sagen würde, dann würde er das alles als Äußerlichkeiten bezeichnen.
    Er mochte keine Äußerlichkeiten.
    Dabei achtete Farîd aber immer auf sich selbst. Auf sein Äußeres. Die Kennzeichen männlicher Verführung machten sich nur zaudernd bemerkbar, suchten nach neuen Ausdrucksformen, nachdem die Mode der hohen Stiefel, der Cowboyhose und der schmalen, nach oben gezwirbelten Schnurrbärte vorbei war. Nur unschlüssig erstand er einen amerikanischen Hut und setzte ihn sich lediglich sonntags schräg auf den Kopf. Er begann sich mit Details zu beschäftigen. Die Haare aus den Ohren zu zupfen, zu baden, bestimmte Farben zu wählen, Details, die von Eleganz zeugten. Mehr und mehr.
    Dann war da der Revolver.
    Das arabische Wort Musaddas, »der Sechser«, stammte ursprünglich von den sechs Kugeln, aus der Zeit, als die ersten Modelle eintrafen.
    Dann verbreitete er sich wie eine Epidemie.
    Mit all seinen Bezeichnungen und Gattungen.
    – Einen Colt 9!
    – Der ist zu teuer für dich, Farîd, deine Pistole ist noch neu, du hast damit nicht mehr als zwei Magazine verschossen. Ich habe sie dir selbst verkauft, ich weiß das.
    – Einen Colt 9!
    – Eine Herstal 12 ist besser als ein Colt.
    Farîd legte seinen Finger an die Schläfe.
    – Eine Laune!
    Das Gespräch stockte:
    – Morgen bekommst du ihn.
    – Wie viel?
    – 540 Pfund, ich verdiene nur 40 Pfund daran, Ehrenwort. Ich teile den Gewinn mit dir, 520, das ist das letzte Wort.
    Farîd lächelte. Er wusste, dass der Mann ein Lügner war, aber er mochte ihn.
    – Ich zahle dir die Hälfte des Betrags, und für den Rest gibst du mir einen Aufschub von einem Monat.
    Arm war er, der Farîd, aber er zahlte.
    Und er bekam Aufschub.
    Seine Kameraden bekamen Wind davon. Sie wollten den Colt 9 sehen. Sie drehten ihn in den Händen und genossen es, den breiten Griff in der Hand zu halten und die Finger darum zu legen. Manch einer von ihnen zielte auf ein imaginäres Ziel, dann senkte er die Hand und nickte anerkennend, ohne den Grund dafür zu erklären. Farîd ließ den Colt nicht aus den Augen, während er von Hand zu Hand ging, er fürchtete, dass er einen Kratzer abbekommen oder zu Boden fallen könnte. Erst wenn er ihn wieder in das an seinem Gürtel befestigte Holster steckte, war er beruhigt.
    Sein Spielzeug, sein Prunkstück.
    Sein Vater, Badawi al-Samaani, hatte sein persönliches Prunkstück mit den eigenen Händen angefertigt. Mit Hilfe von zwei Mauleseln hatte er den Stein vom Steinbruch aus Aintourine herangeschleppt. Er hatte ihn vor die Tür seines Hauses geworfen, unter den Chinarindenbaum, und sich nach seiner Arbeit auf den Baustellen oder an Regentagen oder wenn er arbeitslos war daran zu schaffen gemacht. Ein ganzes Jahr hatte es ihn gekostet, meißelnd und hauend. Ein Mörser für das Auge, wie er zu sagen pflegte. Seiner Frau erlaubte er nicht, auch nur ein einziges Mal das Fleisch darin zu stampfen. Um das Fleisch für die Weizengrützenbällchen weich zu stampfen, hatte er ihr einen anderen Mörser gemacht.
    Farîd hingegen hatte sein Prunkstück käuflich erworben. Einen Colt 9. Drei ganze Monate lang hatte er sich alles versagt, Meister Bûlos zahlte ihm 200 Pfund im Monat, doch Farîd erlebte niemals das Ende des Monats, ohne sie ihm nicht vorher Pfund um Pfund abverlangt zu haben. Er konnte nicht genug davon bekommen, den Colt an der Hüfte zu spüren, wenn er allein hinter dem Zuschneidetisch stand. Er lenkte ihn von der Arbeit ab, er ließ das Hemd, an dem er Knopflöcher öffnete, liegen, um den Colt zu polieren. Er hielt ihn sich über den Kopf, den Griff fest umschlossen, er glänzte im Licht, das durch das geöffnete Fenster hereindrang, er musste sich vergewissern, dass sich kein Staub darauf abgesetzt hatte. Mehrmals hauchte er ihn an und wischte ihn wieder und wieder sorgfältig mit dem Futter seines Jacketts ab, ganz wie Brillenträger ihre Brillengläser anhauchen, bevor sie sie putzen.
    Meister Bûlos machte sich Sorgen um ihn. Er betrat den Laden mit einem nachdenklichen Gesicht, ein weiteres Mal nahm er Farîd die Hose aus den Händen, stellte das Bügeleisen zur Seite und fragte:
    – Du warst gestern auf der Beerdigung von Scheich Milhim in der Liebfrauenkirche, stimmt’s?
    – War ich. Er war ein Verwandter von meiner Mutter.
    Meister Bûlos zog die Augenbrauen zusammen, versuchte sich zu erinnern.

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