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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Farîd lächelte schwach und setzte hinzu:
    – Es ist nichts passiert auf der Beerdigung von Scheich Milhim … Die Leute übertreiben, wer hat dir das erzählt?
    Meister Bûlos begnügte sich mit einem Seufzer.
    Nichts war geschehen.
    Jene waren mit ihrem Oberhaupt gekommen, niemand wusste, wer sie benachrichtigt hatte. Zehn Mann waren es gewesen, nicht mehr. Sie hatten den Mann die ganze Zeit umringt, keinen Augenblick hatten sie ihn aus den Augen gelassen. Mit düsteren Mienen schritten sie einher, warfen den anderen Blicke aus Feuer zu. Farîd starrte auf ihre Eleganz. Ihr Oberhaupt war ein junger Mann, ein Rechtsanwalt, der erst vor kurzem in der Jesuitenuniversität von Beirut seinen Abschluss gemacht hatte. Es hieß, er habe Sir Anthony Eden getroffen, der vor einem Jahr auf der Suche nach Unterstützung gegen Abdel Nasser eine Reise in die Hauptstädte des Nahen Ostens unternommen und dabei Beirut besucht hatte. Zum ersten Mal sah Farîd ihn aus der Nähe. Er hatte sein Foto an den Mauern hängen sehen. Er hatte ihn sich nicht so klein vorgestellt, er trug braun-weiße Schuhe, wie sie sich Farîd bisher nicht hatte leisten können. Er würde sie eines Tages ordern, nach dem Colt 9 und nach einer Krawatte aus reiner Seide. Farîd erkannte Seide an ihrem Glanz. Drei oder vier Begleiter des jungen Anführers steckten in Hosen und hatten einen Fez auf dem Kopf. Es war warm, es war Mitte Mai. Alle trugen Jacketts. Wer vielleicht kein Sommerjackett besaß, trug eine Winterjacke, die die Hitze verstärkte und die Nervenanspannung.
    Also, an jeder Hüfte ein Revolver.
    Unter jedem Jackett ein Revolver.
    Auch an jedem Hosengürtel ein Revolver.
    Das Gleiche galt für die Söhne von Farîds Onkel und ihre Anhänger. Die Familie Samaani übertraf zahlenmäßig ihre Gegner, und sie befanden sich in ihrem eigenen Viertel, auf dem Weg zu ihrer Kirche. Würden diese um ihren jungen Rechtsanwalt versammelten Männer doch bloß einen Fehler machen! Würden sie es doch nur tun! Das Gerangel begann, als der Trupp in eine enge Straße einbog. Man stieß mit den Schultern aneinander. Nichts war zu hören außer dem Geräusch der Schritte auf dem Asphalt, mit dem der Kirchweg erst kürzlich beschichtet worden war. Es schien, als versuchten die Begleiter des Anführers ihm einen Weg zu bahnen, die Körper von ihm fernzuhalten, die sich in dem engen Durchgang an ihn drängten. Sie bestanden auf einem freien Kreis um ihn herum.
    Die Mienen verdüsterten sich immer mehr. Farîd sah viele Männer, die weder Verwandte waren noch ein Interesse daran hatten, dort zu sein. Sie verließen die Prozession und schlugen sich rechts und links in die engen Seitenstraßen. Sie machten sich aus dem Staub, ohne sich umzusehen, friedfertige Menschen, die es vorzogen, nach Hause zurückzukehren. In jenem Moment waren nur die geistlichen Lieder der Mitglieder der Bruderschaft in den vorderen Reihen zu hören, die die Totenbahre trugen.
    Farîds Colt war geladen. Der Colt 9. Kaum hatte er die Provokation gespürt, da suchte er sich ein Ziel. Er wusste, auf wen er schießen würde, und plante sorgfältig, wie er sich verhalten, in welche Richtung er losstürmen, was er mit seiner linken Hand tun würde und wie er den Begleitern des jungen Rechtsanwalts nicht genügend Zeit lassen würde, ihn mit ihren Körpern zu schützen. Er würde ihn in den Kopf treffen, mindestens drei Schuss, und mit den restlichen Schüssen würde er sich den Rückzug absichern. Sie schoben ihren Führer mehr, als dass er selbst ging.
    Die Mitglieder der Bruderschaft beendeten ihre Hymnen, als sie als Vorhut des Zugs beim Kirchportal ankamen; in der herrschenden Stille war nur das Keuchen der Männer und das Gedränge der Körper zu vernehmen.
    Als alle den großen Kirchplatz erreicht hatten, lösten sich die Menschen voneinander, doch die Blicke blieben bedrohlich, wenn auch aus der Entfernung.
    Es geschah tatsächlich nichts.
    Sogar einige Frauen in den hinteren Reihen achteten nicht auf das Geschiebe und setzten ihr alltägliches Geschwätz in dem Umzug fort, der sich nach und nach auf der ganzen Länge des zur Kirche führenden Wegs zerstreute.
    Das Leichenbegängnis von Scheich Milhim war nur eine Vorübung für das, was in weniger als einem Monat im Juni bei einem anderen Leichenbegängnis und in einem anderen Dorf, welches auf der Anhöhe des nahe gelegenen Berges kauerte, geschehen würde.
    Meister Bûlos verlor beinahe jede Hoffnung, Farîds Werdegang in eine bestimmte

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