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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Richtung lenken zu können. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihn zum Auswandern zu ermutigen.
    – Warum reist du nicht nach Australien, Farîd? Dort hast du viele Verwandte, und ihnen geht es gut, nicht wahr?
    Die Stecknadeln im Mund hinderten Farîd an einer Antwort.
    – Schau dir doch deinen Bruder Schafîk an, der schert sich nicht um das alles.
    Farîd lächelte spöttisch. Nein, Schafîk war nicht sein Vorbild im Leben.
    Meister Bûlos machte sich keine Illusionen über die Zukunft des Schneiderberufs. Nach ihm würde dieser Beruf keine Generation mehr ernähren. Was den Schuhmachern widerfahren war, würde auch mit den Schneidern geschehen. Die Schuhmacher hatten die Einrichtung des Ladens mit den Fertigschuhen zertrümmert, der auf der Hauptstraße des Dorfes eröffnet worden war, und waren von der Polizei ins Gefängnis gesteckt worden. Aber was sollte es? Die Schuster hatten sich wie Männer benommen, die Schneider waren indes weitaus feiger als die Schuhmacher, Meister Bûlos kannte jeden einzelnen von ihnen. Es war ein schwerer Broterwerb, und Farîd war nicht tüchtig genug dafür.
    – Es heißt, Australien sei ein schönes Land …, setzte Meister Bûlos hinzu.
    Viele von Farîds Generation waren fortgegangen. Einige von ihnen hatten sich alleine auf den Weg gemacht, im Vertrauen auf Gott, ohne einen Verwandten, der sie dort empfangen würde. Einige hatten in den ersten Tagen unter freiem Himmel geschlafen, auf den Bänken einer Kirche oder in einem öffentlichen Park. Seine, Farîds Reise aber wäre von A bis Z abgesichert. Der Ablauf stand schon fest:
    Er verließe den Libanon zu Beginn des Sommers oder im Oktober, ganz wie es ihm beliebte.
    Im Hafen von Beirut ginge er an Bord eines Schiffes. Seine Reise würde zwar lange dauern, aber amüsant sein.
    Der Mann seiner Tante mütterlicherseits hatte ihm das Geld für die Reise geschickt, sie nannten das immer noch »Naulûn«, Frachtgeld, wie zu Zeiten der Osmanen, er würde es nach und nach zurückzahlen, nachdem er dort eine Arbeit aufgenommen und seinen Lohn erhalten hätte. Den Lohn bekam man in Australien wöchentlich ausgezahlt.
    In der Fabrik wartete Arbeit auf ihn. In Sydney brauchten sie Arbeiter.
    Oder er verdingte sich als Schneider, wenn er das wollte, aber man hatte ihm erzählt, dass die Schneiderei dort im Allgemeinen Frauenarbeit sei. Wenn er wollte, könnte er auch in der Schuhproduktion arbeiten, und wenn er einen bestimmten Betrag zusammenhätte, würde er seine eigene Wäscherei oder einen Kramladen eröffnen.
    Sie hatten ihm ihr Familienfoto geschickt und ein Foto ihres Hauses mit einem weißen Holzgeländer und ein Foto mit einem Känguru mit seinem Jungen im Beutel. Wir leben am Ufer des Meeres, hatten sie ihm geschrieben, in Coogee in Sydney, manchmal erreichen die Wellen die Eingangstreppe unseres Hauses. Im Sommer sitzen wir bisweilen mit den Füßen im Wasser unterm Sonnenschirm.
    Sie hatten ihn gebeten, einen kleinen Stein von ihrem Haus aus dem Dorf mitzubringen. Als Andenken.
    Dem letzten Brief, den er erhalten hatte, war das Foto der Tochter seiner Tante beigefügt.
    Ein breites Gesicht, voll und freundlich. Sie ähnelte seiner Mutter.
    Sie wartet auf dich, hatten sie ihm auf die Rückseite des Fotos geschrieben.
    Er stellte sich vor, sie warte, auf einem Schaukelstuhl sitzend, auf ihn, während die Wellen ihre Füße umspielten.
    Sie hatten ihm das Geld aus Australien geschickt, ohne seine Antwort abzuwarten. Auf diese Weise wollten sie ihn ermutigen.
    Seine Tante war wohl allen dort auf die Nerven gegangen, hatte ständig und überall sein Bild mit dem schräg sitzenden amerikanischen Hut vorgezeigt und sein Ehrfurcht gebietendes Äußeres gerühmt.
    – Ich reise nicht gerne über das Meer. Wer liefert sich denn schon gerne dem Wasser aus?, sagte Farîd, nachdem er die Stecknadeln in den zugeschnittenen Stoff gesteckt hatte.
    Er log, und Meister Bûlos wusste, dass er log.
    Die Stunden waren lang, und die Schneiderarbeit ließ die Zeit nur langsam vergehen, man musste sich die Tage mit Gesprächen vertreiben, diesmal mit Gesprächen über Mädchen und Frauen.
    – Entweder du gehst fort, oder du suchst dir hier ein anständiges Mädchen …
    Ein anständiges Mädchen? Nein, Farîd war ungeschickt in solchen Sachen, Liebe drückte sich in Sprache aus, und er war kein guter Redner.
    Eine echte grüne Pflaume war er, der Farîd Badawi al-Samaani. So nannten ihn jene, die im Kaffeehaus am Platz niemanden mit ihren

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