Morgen des Zorns
Bissen, und genug ist es. Statt zu essen, raucht er unzählige Lucky Strike zum Abendessen. Wenn er beim dritten Glas Arrak angelangt ist, nimmt sein Gesicht einen rötlichen Schimmer an, er fällt mehr und mehr in sich zusammen, lauscht seinem Kumpel und sagt gar nichts mehr. Vielleicht gibt er sich alle Mühe, in sich hineinzulauschen, eine Stimme zu vernehmen, die dunkle Worte spricht. Ihn überkommt ein seltsames Gefühl, er hebt sein Glas erneut und schweift in die Ferne.
Die Nacht bringt ihn zu ihr zurück.
Die Nacht, die alte Kupplerin, vor ihr gibt es kein Entrinnen.
Er hat vergeblich versucht, von ihr loszukommen, aber sie ist die Wonne seines Lebens.
Die Nacht, das Essen auf dem Tisch, Lucky Strike, Arrak.
Und sie.
Vielleicht bleibt Farîd al-Samaani wegen seiner Familie, vielleicht wegen der Begeisterung für den Kampf und wegen des Colt 9, aber ganz sicher bleibt er wegen ihr. Er bleibt, um gegen elf Uhr nachts leise ein bekanntes Liedchen zu summen und sich zu Fuß auf den Weg zu machen. Die Sache ist seinen Freunden nicht verborgen geblieben, sie wünschen ihm lächelnd Erfolg. Sie wissen Bescheid.
Im Stockfinstern steigt er hinab, er fürchtet, im Dunkeln von einer Kugel getroffen zu werden, die ganz unvermittelt aus der Finsternis hervorschießt. Er steigt in Richtung des Flusses hinunter, überquert die Steinbrücke, geht den Feldweg parallel zum Kloster neben Feigenkakteen entlang, um zu ihrem kleinen Haus mit den blauen Fenstern zu gelangen. Jede Nacht lässt sie für ihn die Hintertür offen, der Geruch von Kuhdung strömt aus dem benachbarten Stall. Sie wartet in ihrem durchscheinenden rosafarbenen Nachthemd auf ihn, unter dem sie vollkommen nackt ist. Er mag es, wenn sie unter dem Hemd splitternackt ist, wenn er kommt. Sie mag das nicht. Aber er hat sie wiederholt darum gebeten, und sie schlägt ihm keinen Wunsch ab.
Sie vernimmt das Knarren der Hintertür, sie weiß, dass er gekommen ist, in aller Eile legt sie die Unterwäsche ab, bevor er zu ihr ins Schlafzimmer dringt. Sie bittet ihn nur, leise zu sein, damit er die Kinder im Nebenraum nicht weckt. Er legt den Colt mit beiden Magazinen auf einen Stuhl neben dem Bett. Er packt sie an den Schultern, sie erschauert vor Lust und schließt die Augen. Aus Furcht, er würde dann nicht mehr zu ihr kommen, traut sie sich nicht, ihn zu bitten, sie zu heiraten. Er wirft ihr einen harten Blick zu, hinter dem sich unbändiges Verlangen verbirgt. Der dreifach destillierte Arrak hängt ihm noch immer im Kopf, und ohne seine Kleider abzustreifen, wirft er sie aufs Bett, ein echter Mann zieht seine Kleider nicht aus. Bei den ersten Malen hat sie sich ihm hingegeben wie früher ihrem Gatten. Eine ihrer Nachbarinnen, die ihr Geheimnis kennt, hat ihr indes geraten, sich zu widersetzen.
– Männer mögen Widerstand, probier es aus, hat sie gesagt, drück die Beine zusammen, entwinde dich ihm, und du wirst sehen …
Er gerät in Erregung und brüllt, er beißt sie, seine Finger hinterlassen rote Spuren auf ihrem Rücken. Eine andere Frau im Dorf behauptete, sie habe für ihn ein Amulett geschrieben und ihn verzaubert. Seine Freunde meinen, sie sei die einzige Frau in seinem Leben. Wieder und wieder schlägt er sie, hebt sie hoch, wirft sie aufs Bett und stürzt sich auf sie, bis sie endlich nachgibt und ihn bittet aufzuhören. Er verbringt die Nacht bei ihr, in dem kleinen Nachbardorf, seine Pistole nicht weit entfernt von seiner Hand. Er öffnet die Augen und lauscht angespannt, wenn er ein Kratzen oder Miauen hört. Er liebt es, sie zu berühren, er wird es nicht satt, er tut kein Auge zu.
Er kann sich keinen größeren Genuss auf der Welt vorstellen, als von der jungen Witwe zurückzukehren, während sich das Morgenlicht auszubreiten beginnt. Er schlendert den Weg entlang, der gesäumt ist von den hoch aufragenden Pappeln. Weißer durchsichtiger Nebel steigt vom Fluss auf und malt verschiedene Muster darauf, die ihn an die bestickten Schleier erinnern, welche die Köpfe der Engel auf dem Bild der Heiligen Jungfrau in der Kirche bedecken. Er pfeift beim Gehen, die Vögel fliegen nicht auf und halten in ihrem Zirpen nicht inne. Sie haben sich an ihn gewöhnt, wie er gemächlich und erhobenen Hauptes am frühen Morgen neben den Kakteen entlang in Richtung Steinbrücke läuft, um den Fluss zu überqueren, von einem sanften Glücksgefühl in einen neuen Tag begleitet …
IV
Jeden Tag gegen zehn verlässt er das Haus.
– Elias schläft lange,
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