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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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richtig?
    – Mach dir keine Sorgen um mich.
    – Wer kocht für dich?
    Er lacht und sagt:
    – Le Relais d’Arcachon …
    Sie versteht nicht, und sie fragt auch nicht nach.
    Das ist ungefähr alles. Der Rest sind Details. Sie hat ihm keine Frage bezüglich des Heiratens gestellt.
    Dann ist es an ihm nachzufragen.
    Nach einigem Zögern und reiflicher Überlegung stellt er ihr auf eine Art und Weise eine Frage, als sei sie ihm ganz plötzlich in den Sinn gekommen.
    – Mutter, ist nichts von Vater geblieben?
    – Von deinem Vater?
    – Ein Foto, Sachen …
    Die Überraschung ist ihm nicht gelungen, sie hat die Frage erwartet, wahrscheinlich vom Augenblick seiner Rückkehr an. Wortlos steht sie von ihrem Stuhl auf und geht in ihr Zimmer. Sie strauchelt nicht, sie kennt den Weg, obwohl sie vielleicht, seit Elia im Haus ist, fürchtet, er könne ein Möbelstück verrückt oder einen Stuhl in den schmalen Durchgang gestellt haben. Sie hat Angst davor, zu fallen und sich die Knochen zu brechen, dann wäre sie auf andere angewiesen, ein Mädchen, das ihr hilft. Sie will niemanden bei sich haben.
    Sie kehrt mit einer runden Holzschachtel zurück, stellt sie vor ihn hin und sagt:
    – Bitte, das war in den Taschen deines Vaters, als wir ihn im Krankenhaus fanden, ich, meine Mutter, Muntaha und Hamîd al-Samaani. Nimm es, es gehört dir, nimm es mit nach Amerika, wenn du willst.
    Und der Rest?
    Seine Kleider hat sie den Bedürftigen gegeben, wie es alle hier mit der Kleidung der Toten tun. Er hat auch ein Kartenspiel und Jetons vom Kasino dabeigehabt, die hat sie an Fuâd und Butros al-Râmi geschickt, seine beiden Partner beim Glücksspiel.
    Elia wundert sich, dass er diese Schachtel nicht selbst gefunden hat. Im Schlafzimmer öffnet er sie, doch er entdeckt nichts Besonderes. Geld und einen Rosenkranz, von dem man sagt, er sei aus wertvollem Bernstein, sowie Papiere, darunter eine kleine Karte, auf der der Name eines Fotografen gedruckt ist, Nischân Davidijân.
    Als er sich nach ihm erkundigt, sagt man ihm, er sei schon vor langer Zeit in die Stadt »geflohen«.
    Im Kaffeehaus stellt man ihm nicht viele Fragen. Er setzt sich zu ihnen, finstere Gesichter haben sie, als seien sie so auf die Welt gekommen. Arbeitslos, manch einer in flotter Kleidung, mit Pariser Krawatte um den Hals, die Mobiltelefone liegen vor ihnen auf dem Tisch, sie trinken Kaffee und rauchen eine nach der anderen. Man erkundigt sich nur nach der Gesundheit seiner Mutter und wie es ihm die ganze Zeit über in der Fremde ergangen ist. Manchmal erspäht er eine Pistole an der Hüfte des einen oder anderen, wenn der sich zurechtsetzt oder Geld aus der Tasche zieht, um den Schuhputzer zu entlohnen, der um sie herumwuselt.
    Sie werden über ihn reden, sobald er nach einem verzweifelten Versuch seinerseits, die Rechnung zu bezahlen, durch die Glastür hinausgegangen ist. Sie haben dem Kellner schon vorher ein Zeichen gemacht, kein Geld von ihm anzunehmen. Sie sind wortkarg, aber ihre Urteile sind endgültig. Sie leben in Häusern, die sie von ihren Vorfahren geerbt haben, und gehen nur selten in die Stadt, sie haben dort nichts zu tun, sagen sie. Und wenn sie beschließen wegzugehen, dann nur ein Mal und ganz weit fort. Zu dem Dorf am Ufer des Orinoco, wo man einen Laden für sie eröffnet, in dem sie Fertigkleidung verkaufen, und wo sie unverheiratet mit den einheimischen Frauen zusammenleben. Entweder im Viertel Karm al-Tîn, bei meinem Bruder und meinen Cousins, oder in San Felix am Äquator.
    Er gesellt sich zu ihnen, denn dort hat ihm jemand erzählt, dass der Mann, der Luca Brasi aus dem Film »Der Pate« ähnelt – der dunkelste von ihnen und der mit der finstersten Miene –, in jenem Augenblick bei seinem Vater war, als dieser getötet wurde.
    Als die Gruppe einmal auseinandergeht, gelingt es ihm, ihn allein zu sprechen.
    Er fängt ganz von vorne an.
    – Man hat mir gesagt, Sie wissen, was passiert ist … Warum wurde mein Vater getötet?
    – Er wurde getötet, weil er dort gestanden hat … Schicksal.
    – Dort gestanden hat?
    – Ja, er stand neben mir auf dem Platz.
    – Heißt das, dass sie ihn aus Versehen getötet haben?
    – Nein, sie haben ihn nicht aus Versehen getötet.
    – Haben sie ihn vorsätzlich getötet?
    – Ich weiß nicht, ob sie ihn vorsätzlich getötet haben, ich weiß, dass sie ihn gesehen haben und dass sie wussten, wer er war, und dass sie auf ihn geschossen haben. Sie haben ihn in den Rücken getroffen. Zwei Kugeln. Man

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