Morgen des Zorns
Nase und dem schwarzen Haar.
Er ist bestrebt, wann immer möglich den Bürgersteig zu benutzen, ganz wie er es in jener Stadt zu tun pflegt, aus der er kommt. Die Stadtverwaltung hier pflastert dank eines zinslosen Kredits der Weltbank die alten Straßen mit schwarzen Basaltsteinen neu. Er dringt tiefer ein in das Viertel, die Straßen verengen sich, winden sich, man mustert ihn immer eindringlicher; er schert sich nicht darum.
Kurz vor Mittag schlendert er an den Häusern entlang. Ganz unvermittelt bleibt er stehen, schaut durch die geöffneten Fenster in die Räume hinein. Die vor der Tür sitzende Frau blickt ihn an, als beschütze sie ihn. Sie fragt, ob er jemanden suche, er lächelt, er erinnert sich.
Auf dem Rückweg von der Schule war er hier entlanggegangen, jeder dieser niedrigen Türen entströmte ein besonderer Geruch. Die Kinder spekulierten über das Mittagessen, manchmal waren sie unterschiedlicher Meinung, doch sie rümpften allesamt arrogant die Nase über grüne Bohnen mit Reis. An den Freitagen mussten sie ihren großen Appetit auf gebratenen Fisch unterdrücken, den ihre Mütter ihnen heiß zu essen verboten. Er lächelt und versucht es nach dreißig Jahren erneut. Er bleibt an einer sperrangelweit geöffneten Tür stehen, dreht seine Nase in Richtung des sauberen und aufgeräumten Zimmers und schnüffelt intensiv. Nichts. Die Gerüche müssen in seiner Kindheit stärker gewesen sein!
Bei seiner Rückkehr ist das Mittagessen fertig. Das Mittagessen seiner Mutter Kâmleh. Sie verbringt den ganzen Vormittag mit der Zubereitung. Und die Zubereitung von Essen heißt, etwas kochen, auf kleinem Feuer, ein Gericht mit Joghurt und Reis, denn eine richtige Mahlzeit ist nach Kâmlehs Meinung etwas, was heiß und mit dem Löffel gegessen wird. Der Rest, das ist nur Trockenzeug. Unbefriedigend, und es nährt nicht.
Elia wird wütend und tadelt sie ein wenig zu barsch:
– Du sollst bloß kochen. Das habe ich akzeptiert, weil du dickköpfig bist … Aber du musst warten, bis ich komme und den Tisch decke. Es reicht, plag dich nicht damit herum.
Weil Kâmleh auch den Esstisch deckt, und das erträgt Elia nicht.
Er betrachtet den Tisch.
Der Strauß künstlicher Blumen, dessen Farben im Laufe der Jahre verblasst sind, steht nicht in der Mitte, wo Kâmleh ihn hingestellt zu haben meint; sicher hat sie gezögert und den Ort abgetastet, bevor sie sich für einen Platz entschied, doch die Mitte hat sie verfehlt. Der Abstand zwischen den Tellern, Messern und Löffeln ist ungleichmäßig, auf dem Tischtuch zeugen Flecken von ihren gescheiterten Versuchen, Wasser in die Gläser zu gießen.
Er droht ihr:
– Wenn ich morgen zurückkomme und der Tisch ist gedeckt, dann gehe ich wieder und esse im Restaurant …
Ein Sohn weiß, wie er seine Mutter quälen kann, wenn er will.
Am nächsten Tag versucht Elia den Tisch zu decken, Kâmleh vernimmt aus der Küche das Klirren der Gläser und das Klappern der Löffel. Sie ruft:
– Was tust du?
Er kümmert sich nicht darum. Er fragt stattdessen:
– Wie kochst du?
– Auswendig. Seit ich angefangen habe zu kochen, schmeckt mein Essen gleich, selbst nachdem mein Augenlicht verblasst ist … Koste mal diesen Löwenzahn mit gerösteten Zwiebeln, den hast du bestimmt seit zwanzig Jahren nicht gegessen, er schmeckt immer noch wie früher …
Um ihren mütterlichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die all die Jahre ins Leere gelaufen sind, hat Kâmleh keine andere Möglichkeit gefunden, als ihn wie ein kleines Kind zu behandeln. Als sei ihr Sohn noch immer in dem Alter von damals, als sie, jedes Mal wenn Elia ins Auto stieg, dem Fahrer einschärfte, langsam zu fahren, und ihn immer, wenn er die Joghurtsuppe, in der die Weizengrützenbällchen schwammen, zu hastig verschlang, ermahnte, er könne sich den Mund verbrennen, weil sie noch heiß sei …
Sie setzt sich zu ihm, ohne etwas zu sich zu nehmen.
– Ich hab schon gegessen, sagt sie, wenn Elia sie auffordert, mit ihm zu essen.
– Wann?
– Während ich das Essen auf dem Herd probiert habe …
– Ich glaube, du hast nicht mehr richtig gegessen, seitdem ich nach Amerika gegangen bin …
Kâmleh legt die Hände ineinander und hört zu. Ihre Fragen sind bestimmt:
– Hast du ein großes Haus dort?
Er lächelt.
– Wie viele Zimmer?
– Ein Zimmer.
– Ein Zimmer?
– Ein großes Zimmer.
– Wer wäscht deine Wäsche?
– Die Waschmaschine im Viertel.
– …
– Eine Maschine …
– Isst du auch
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