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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Mafia und würden von den »Carabinieri« gesucht. In einer orientalisierenden Variante behauptete er, er stamme ursprünglich aus der Stadt Tais im Jemen und sei zwischen dem Leeren Viertel und der Syrischen Wüste aufgewachsen. Sein Vater gehöre zu den Notabeln des Stammes der Bani Schammar. Dem Rat eines alten englischen Freundes folgend, der beim Geheimdienst Seiner Majestät tätig gewesen war und ihn vom Nutzen einer höheren Bildung überzeugt habe, habe er seinen Sohn, also ihn, nach Amerika geschickt. Bei den legendären Sitzungen unter dem Zeltdach, wenn der Kaffee bei den wortkargen Anwesenden die Runde macht, welche über die Frage verhandeln, ob sie der Regierung in Sanaa Hilfe anbieten oder geheime Abgesandte für Verhandlungen mit den kommunistischen Revolutionären nach Aden schicken sollen, falle seinem Vater das letzte Wort zu.
    Weil er immer wieder die Flucht ergreifen musste, war er gezwungen, ständig seine Telefonnummer zu ändern, bis er die Nummer irgendwann niemandem mehr gab und schließlich einen Antrag stellte, seinen Namen aus dem öffentlichen Telefonbuch zu streichen. Als die E-Mail-Adressen aufkamen, legte er sich unzählige davon an, damit niemand ihm auf die Spur kommen könne. So richtete er sich zum Beispiel eine Adresse ein, um davon Mails abzuschicken, doch aus Angst davor, die Antworten zu erhalten, legte er die Adresse still und richtete sich eine neue ein. Später legte er sich sogar eine Website unter einem von seinem Namen abgeleiteten Pseudonym an. Es war genau jene Website, die die Burschen des »Banden«-Viertels aufgestöbert hatten. Und er vermied den Umgang mit jedem, der in irgendeiner Verbindung zu seinem Geburtsort stand.
    Er hatte noch nicht einmal Bekannte, die des Arabischen mächtig waren. Wer ihn durchschaute, hatte Mitleid mit ihm und betonte, dass das Lügen bei ihm kein Hobby sei, sondern dem unbändigen Verlangen entspringe, seine Gesprächspartner und Bekannten zufriedenzustellen. Wenn er zum Beispiel auf jemand traf, der rasch eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten wollte, dann konnte Elia nicht an sich halten zu behaupten, er kenne ein hohes Tier in der Einwanderungsbehörde. Er nannte einen vollständigen Namen, den er gerade frei erfunden oder abgeleitet hatte, und versprach dem Antragsteller, sich binnen kurzem mit ihm in Verbindung zu setzen. Nicht ohne zu betonen, dass die Angelegenheit bereits entschieden sei, da gebe es gar keine Diskussion. Der Verantwortliche in der Einwanderungsbehörde schulde ihm nämlich einen großen Dienst, an dem gemessen eine Aufenthaltsgenehmigung nichts bedeute. Dies würde allerdings das letzte Gespräch zwischen den beiden sein, denn Elia würde sich den Blicken dieser Bekanntschaft in Zukunft entziehen. Er hatte sich auch zwei oder drei gefährliche Krankheiten zurechtgelegt, eine Nierenschwäche mit angeblichen Dialysesitzungen, sporadisch auftretende Zustände von Erstickung und sogar eine Leukämie. Diese seine Krankheiten schleuderte er jedem ins Gesicht, der ihn mit der Wahrheit konfrontieren wollte, was den Abscheu über seine Lügen in Mitleid mit ihm verwandelte.
    Wie ein Pfeil schoss die Zeit für Elia dahin. Sein Leben verging, und er fand keinen Weg, den alltäglichen Details seiner Existenz, die einem unausgesetzten Urlaub glich, Einhalt zu gebieten. Doch er war auch nicht gefeit vor dem Überdruss, dem Gefühl der Wiederholung, nicht nur der Wiederholung der Details, sondern dieses ganzes Szenarios, in das er immer wieder zurückfiel, ohne es zu wollen. Es gab allerdings etwas in seinem System, das ihm allmählich zu entschlüpfen begann, auch wenn er weiterhin darum bemüht war, mit einem solchen Elan seine Tage zu beginnen, als lägen bedeutende Aufgaben vor ihm.
    Irgendwann fing er an, sich selbst zu tadeln. Wer alleine wohnt, spricht früher oder später mit sich selbst. Er rügte sich im Bad oder wenn er nach dem Mittagessen einige Minuten, auf dem Bett ausgestreckt, gegen die Decke starrte. Im Spiegel des Aufzugs betrachtete er sein Gesicht, wenn er allein war, und zeigte manchmal mit dem Daumen auf sein Bild und drohte dem Bild mit der Faust. Er stellte mit lauter Stimme Fragen an sich selbst, so dass die Kellnerin im Schnellimbiss »Jack’s«, den er manchmal zur Mittagszeit aufsuchte, annahm, er wolle etwas bestellen. Vor Verlegenheit entschuldigte er sich dann in aller Eile. Hätte er diese Vorwürfe, die er immer wieder an sich selbst richtete, aufgeschrieben, oder wäre er in der Lage

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