Morgen des Zorns
gewesen, sie jemandem mitzuteilen, so hätten sie alle die Form einer strengen Ermahnung angenommen:
– Schluss, Elia, bei Gott, du musst wirklich aufhören. Weißt du nicht, dass du mit dem, was du tust, übertreibst? Hast du nicht genug davon, jedes Mal, wenn weibliches blondes Haar vor dir in der Luft flattert, auf der Straße, im Kaffee, in den Geschäften, Verlangen vorzugaukeln? Eine Blondine nach der anderen? Das ganze Land besteht aus Blondinen. Was also tun?
Als zum Beispiel Julies Haar seine Farbe zu verlieren begann, verlor er das Interesse an ihr. Er selbst konnte seinen Gefühlsumschwung kaum glauben. Sie weinte und wollte von ihm wissen, was er plötzlich gegen sie habe, doch er war unfähig, es offen auszusprechen. Kaum hatte er eine blondhaarige Frau erblickt, fuhren seine Antennen aus, und er legte sich seine Worte zurecht. Den Auftakt machte Granatapfelsaft mit Soda. Die tiefrote Farbe im Glas eignete sich vorzüglich als Vorspiel für ein freundschaftliches Geplauder, das jedes Mal das gleiche Ende fand. Einmal aber übertrieb er maßlos, als er versuchte, sich, ganz wie die Russen es bei ihren leidenschaftlichen Gelagen zu tun pflegen, den kompletten Inhalt eines Glases Wodka mit Zitrone in die Kehle zu schütten. Die Augen fielen ihm fast aus, und beinahe wäre er daran erstickt. Damit er den Wodka ausspucke und wieder zu sich komme, hoben sie ihn kopfüber in die Höhe und versetzten ihm eine gehörige Anzahl von Ohrfeigen.
Immer wenn ein Mädchen vor ihm saß, zog er alle Register: Aussprüche und Redensarten anderer und Geschichten, die er erst wenige Minuten vorher ersonnen hatte, als er mit der Subway zum verabredeten Treffpunkt gefahren war. Geschichten, die er unaufhörlich aus allem zusammensetzte, was er las. Er wollte um jeden Preis den Eindruck erwecken, er sei das Genie, das durch New Yorks Straßen irre; oder die anderen sollten glauben, der Nahe Osten habe ihn ein weiteres Mal in die Neue Welt gespuckt, weil der Orient die Existenz von Minderheiten nicht ertrage. Orte, die er sein Lebtag nicht besucht hatte, beschrieb er mit einer glaubwürdigen, aus der Literatur entlehnten Sehnsucht. Wenn er im Blick seiner Gesprächspartnerin lesen konnte, dass sein Plan erneut aufzugehen schien, stand er unvermittelt auf. Wieder einmal hatte er erfolgreich ein bizarres Bild seiner selbst gezeichnet, das einerseits seiner neuen Freundin ungeahnte Horizonte für ihr monotones Leben eröffnete und andererseits sein unstillbares Verlangen nach etwas am Leben hielt, was Frauen seiner Meinung nach besaßen – was er aber niemals erreicht hatte. Wie jedes Mal führte er nun seinen Tanz auf, gab vor, unbedingt nach Hause zurückkehren zu müssen, und bot dem Mädchen an, es heimzubringen. Sein Handeln war bis ins kleinste durchdacht. Er war fest davon überzeugt, einen oder zwei Tage später sein Telefon klingeln zu hören, als Reaktion auf seine Verführungskünste, die das Licht des Tages hinter sich lassen und sich zu einem Theater der Nacht wandeln würden. Dieses Spiel beherrschte er perfekt, auch wenn es infolge der maßlosen Wiederholung irgendwann zu offenkundig zu werden begann. Kaum war er in einem Restaurant zu seinem Ziel gelangt, da betrachtete er dies als gutes Omen und wurde Stammgast. Eine nach der anderen führte er dorthin aus, und weil er davon überzeugt war, dass Vertrautheit zu den Mitteln der Verführung gehört, rief er die Kellner beim Vornamen.
Es kam aber auch vor, dass er entlarvt wurde, wie damals, als er das Restaurant »Calabrese« betrat und die füllige Rothaarige erblickte. Er hatte sie vor einem Monat kennengelernt und dann die Beziehung wieder abgebrochen. Als er entdeckte, dass sie dort gerade zu Abend speiste, wünschte er sich, die Erde möge sich auftun und ihn auf der Stelle verschlingen. Nun war ihr vergönnt, in allen Einzelheiten zu beobachten, wie er das gleiche Theater aufführte wie bei ihr und wie er das neue Mädchen in der gleichen Ecke des Restaurants Platz nehmen hieß, wo er auch sie hingesetzt hatte. Vielleicht war sie sogar imstande, vorherzusagen, welches Gericht er seiner neuen Begleiterin ans Herz legen würde: »Ich rate dir dringend zu dem Seebarschfilet mit bitterer Orangensauce …«
Elia beherrschte die Kunst des Prologs in allen seinen Varianten. Dazu gehörte auch, die Mädchen zu seinem Apartment zu locken, wo er gleichfalls mit unzähligen Details der Verführung aufwartete, Bilder, kleine Statuen, ausgewählte Möbelstücke,
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