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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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auf die Probe zu stellen und zu testen, wie groß dein Wunsch ist, mich zu treffen.
    Auch sie ließ dem ein einstudiertes Lachen folgen, mit dem sie ihm zu verstehen gab, dass sie die Zustimmung zu seinem Vorschlag mehr heuchle, als dass sie wirklich einverstanden sei, ihn zu begleiten! Ein aufregendes Spiel, für beide, mehr als zehn Minuten eine geflüsterte Parodie in der ansonsten stillen Bibliothek, in der sie von zahlreichen Augenpaaren verärgert gemustert wurden. Kurze Zeit später hatten sie, wie bei dem Spiel mit dem Feuer vorhersehbar, tatsächlich einen Termin vereinbart. Ohne sich um das entrüstete Brummen der anderen Bibliotheksbesucher zu scheren, erhob er sich theatralisch von seinem Stuhl, um ihr die Hand zu schütteln und sich – möglicherweise als Ankündigung, dass nun der Ernst beginne – vorzustellen.
    Er sagte, sein Name sei Elia, und sie glaubte, er sei ein Jude aus dem Nahen Osten. Sie begleitete ihn aus der Bibliothek hinaus, und als sie den Hof überquerten, bedachte Miss Davis sie mit tödlichen Blicken. Er hatte dem Mädchen nicht erzählt, dass er von der Abteilungssekretärin wusste, wer sie sei und welcher Familie sie entstamme. Sogar ihren Namen hatte er gewusst: Heather Pollock, Tochter des Pfarrers Henry Pollock junior.
    Er lud sie in ein französisches Restaurant ein – und was für ein Restaurant! »Le Relais d’Arcachon«. Die französische Küche, sagte er lachend, ist die Tür zur Verführung der amerikanischen Frau. Wie von Statistiken bestätigt, ist ihre Wirkung wissenschaftlich erwiesen. Er unterzog sie einer Prüfung, und sie ließ es über sich ergehen. Er verheimlichte sein Spiel nicht. Er gab alles zu, wessen er beschuldigt wurde, dann verdarb er sein Spiel und spielte ihr Spiel. Nur scheibchenweise gab er etwas preis, und sie rief immer wieder aus:
    – Nun sag doch endlich, woher du kommst!
    Er lächelte, als habe er sie dort, wo er sie haben wollte. Stolz und Zärtlichkeit im Blick, nahm er einen großen Schluck aus seinem Glas. Er redete und redete und erzählte von den Nächten, die ihn unruhig werden ließen, besonders die Sonntagabende. Dann band er sich die weiße Serviette um den Hals, blickte auf das Glas, das er zwischen zwei Fingern drehte, schloss die Augen und schnupperte am Wein, schwenkte das Glas, bevor er kostete, und bediente sich dabei einer Sprache, die der Küchenecke in der »New York Times« entnommen schien. Er forderte den Kellner auf, den Chef zu fragen, ob er die Ente – ein äußerst »volkstümliches« Gericht, wie er behauptete – noch immer in Orangensauce zubereite, und plötzlich tauchte der Chefkoch höchstpersönlich auf, um seine Frage zu beantworten. Alles bis ins kleinste abgesprochen. Er erkundigte sich nach den Krabben und was frisch vom Atlantik eingetroffen sei. Sie stritten miteinander, sie musste lachen, sie streckte die Waffen, sie genoss es, und sie hatte nur noch eine einzige Frage, die sie verstört immer wieder aufs Neue wiederholte:
    – Wer bist du? Wer bist du?
    Doch er ließ sich nicht beirren. Schließlich fing sie hysterisch an zu lachen und brachte nur mit Mühe heraus:
    – Schluss, um Gottes willen, hör endlich auf! Wer bist du?
    In einem Brief an ihre Freundin sollte sie ihn folgendermaßen beschreiben: »Anfang vierzig, schlank, seine Augen sprühen vor Klugheit. Wenn du ihn an einem Sonntagmorgen durch eine der Straßen schlendern sehen würdest, bevor er seine Kontaktlinsen anzieht, würdest du sagen, er ist wahrscheinlich ein Romancier auf der Suche nach einem Thema für sein nächstes Buch über Menschen, die auf den Bürgersteigen nächtigen und von staatlicher Unterstützung leben, über einfache Menschen mit gebrochenen Herzen.«
    Kurze Zeit nach dem Beginn ihrer Bekanntschaft überraschte er sie mit den Worten:
    – Ich möchte den Libanon besuchen …
    Einfach so und völlig unvorbereitet, während sie über eine der Brücken der Stadt schlenderten.
    – Ich möchte die weiße Mandelblüte zu Beginn des Frühlings erleben …
    Sie lächelte. Da setzte er hinzu:
    – Und ich möchte meine Mutter sehen, bevor sie stirbt.
    Er sagte das ohne äußere Erregung. Und ohne sie beeinflussen zu wollen. Er sagte es wie einer, der sagt, ich muss um Viertel nach sieben am Bahnhof sein, sonst verpasse ich den Frühzug nach Pittsburgh.
    Dieses Mal hatte er keinen Vorwand erfunden, um vor seiner neuen Freundin die Flucht zu ergreifen.

XII
    Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, auf den Knien Rettung

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