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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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kleine Anzeige in einer der Zeitungen in der Subway gelesen hatte. Dort, in der auf der Rückseite des Lokals gelegenen Toilette, übte er sich in den ersten Küssen. Eine der Kellnerinnen, die er mit geschlossenen Augen küsste, gestand ihm, sie spüre eine größere Erregung, wenn sie ihm beim Küssen in die Augen blicken könne. Als er die Zubereitung von Pizzen in all ihren Variationen beherrschte, hatte er genug und begann, bei einer blonden Amerikanerin Deutschstunden zu nehmen. Er träumte davon, mit ihr auszugehen, und schmiedete Pläne, wie er sie erobern könne, doch ohne Erfolg. Als sie ihn in der ersten Stunde auf Englisch fragte, warum er die Sprache Goethes zu lernen gedenke, erzählte er ihr, er wolle sich auf die Philosophie spezialisieren, und setzte dabei eine Miene auf, als wäre das selbstverständlich. Vielleicht war es diese seine Antwort aus dem Stegreif gewesen, die ihn dazu veranlasste, Vorlesungen über die Philosophie Hegels zu belegen, was er sich vorher niemals hätte träumen lassen. Doch obwohl er eine gewisse Beharrlichkeit an den Tag legte, wollte es ihm einfach nicht gelingen, den Sinn von Wörtern wie »Begriff« oder »Aufhebung« zu erfassen. Er verstand zwar nicht viel und es gelang ihm auch nicht, den Eindruck zu erwecken, als würde er etwas verstehen – damit ihn der Vortragende nicht mit einer Frage bloßstelle, auf die er keine Antwort wusste –, doch im Verlaufe eines Monats hatte er immerhin so viele Ausdrücke und bruchstückhafte Gedanken aufgeschnappt, dass er sich in die Lage versetzt fühlte, sich als Kenner der deutschen Philosophie aufzuspielen.
    Als Entschädigung für diese Unzulänglichkeit auf theoretischem Gebiet, welche seine Gefühle auszutrocknen drohte, trat er in einer übertriebenen Anwandlung von Enthusiasmus, welche für einen Neuankömmling in dieser gigantischen Stadt eher lächerlich wirkte, in den Fanclub der New Yorker Basketballmannschaft ein. Eine ganze Saison lang verpasste er kein einziges Spiel und reiste den »Knicks« manchmal sogar in andere »States« hinterher, in die die Spiele sie verschlugen. Aber jedes Mal, wenn er sich eine Zeitlang einfach hatte treiben lassen, überkam ihn aufs Neue ein tiefsitzendes Bedürfnis danach, etwas zu lernen. Es schien, als halte sich in seinem Dasein die Lebensform der Burschen des »Banden«-Viertels mit der Suche nach umfassendem »Wissen« die Waage, wobei die eine Neigung in irgendeiner Weise für die andere Sühne tat. So nahm er den Besuch der Universität wieder auf, meist als Gasthörer, da er seit seiner Ankunft überzeugt davon gewesen war, sein Aufenthalt in diesem Lande würde nicht lange währen.
    Seine Sprachkenntnisse, oder besser seine Grundkenntnisse verschiedener Sprachen, mehrten sich, überlagerten und vermischten sich, und wenn Gedanken und Fragen ihm auf Französisch über die Lippen kamen und ihn andere Überlegungen auf Englisch oder sogar auf Deutsch anfielen, dann wurde er sich der Kuriosität seines Zustandes bewusst. Er peppte seinen Redefluss darüber hinaus noch mit lateinischen Ausdrücken aus, während der Einfluss der arabischen Sprache nach und nach schwand. Er war glücklich über seine Vielstimmigkeit und betätigte sich als Simultandolmetscher bei Besprechungen von wissenschaftlichen Delegationen, die die Stadt New York eine nach der anderen aufsuchten. Er jobbte als Wächter in einem Freizeitpark und als Taxifahrer – sein Lebensexperiment, wie er sich ausdrückte – und als Script-Supervisor beim Film. Den hatte er sich zwar geschlagene drei Mal angesehen, aber weil er jedes Mal zu spät den Kinosaal betrat, war es ihm nie vergönnt gewesen war, seinen Namen in der Liste der Mitwirkenden zu lesen.
    Gleichzeitig wechselte er ständig seine Wohnung. Er zog von Apartment zu Apartment und nahm dabei lediglich einige Bilder und zwei Kisten mit Büchern mit – die meisten von ihnen Wörterbücher – sowie einen Basketball mit dem Autogramm von Magic Johnson. Und genau wie seine Wohnungen wechselte er seine Brillen. Wenn ihn das breite Gestell langweilte, kehrte er wieder zu den dünnen Gläsern zurück, dann kaufte er sich schwarze Sonnenbrillen, bevor er schließlich Kontaktlinsen verwendete. Die öffentlichen Bibliotheken – und besonders an der Universität – stellten die wichtigste Bühne seiner Aktivitäten dar. Hier wurde er niemals enttäuscht, denn nur allzu bald war ihm bewusst geworden, dass er etwas ausstrahlte, das den Mädchen gefiel. Er sah sich

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