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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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von denen man sich erzählte, sie hätten instinktiv ihre Flugroute abgeändert, um das Dorf nicht zu überfliegen. Wir machten mit Dynamit Jagd auf die Fische im Fluss und versetzten den Katzen einen Tritt, kaum dass sie, um unsere Zuneigung buhlend, in unsere Nähe kamen. Unsere Geringschätzung ging sogar so weit, dass wir, als wir uns im Jahr 1958 hinter Barrikaden verschanzten, den Hunden und Eseln einen Dynamitgürtel umbanden und sie damit zu den gegenüberliegenden Linie schickten, um dort den größtmöglichen Schaden anzurichten. Doch schon auf halber Strecke explodierte ihre Last durch die Schüsse von den gegenüberliegenden Stellungen, und die Hunde krepierten. Wenn wir jemanden von uns als unmoralisch und erbärmlich beschimpfen wollten, nannten wir ihn einen Hund; genauso stellten wir uns gegenseitig in aller Öffentlichkeit bloß, indem wir auf die Hauswände Sätze kritzelten wie »Der Soundso ist der größte Esel von ganz Syrien und Libanon«. Der Anschluss Syriens an den Libanon sollte in diesem Zusammenhang vielleicht die geographische Region vergrößern, um das Ausmaß der Beleidigung durch die Einschließung einer noch größeren Anzahl von Menschen zu steigern.
    Wir kannten nur zwei Arten von Hunden: den Bastard, das heißt den umherstreunenden, hässlichen Köter, der weder Nutzen hatte noch einen Namen. Er war schmutzig, kleine Kinder fürchteten sich, von ihm gebissen zu werden, und schlimmstenfalls war er an Tollwut erkrankt. Aus den Straßen zog er sich nach und nach zurück, und nur der eine oder andere Hirte hielt sich noch einige etwas edlere Tiere dieser Spezies. Und dann den Jagdhund, den verwöhnten, gepflegten, der auf einen Namen hörte und bei einem Pfiff aus dem Mund seines Besitzers aufmerksam die Ohren spitzte. Er war gleichfalls der unvermeidliche Begleiter eines Mannes, der sich in einem kleinen Garten ein Holzhaus gebaut hatte. Er fütterte ihn angemessen und trainierte ihn so lange, bis er ihm auf Befehl seine Pistole aus dem Versteck holte, wenn sein Herrchen eine Bewegung in der Nähe bemerkte oder Geräusche unklarer Herkunft vernahm.
    Der europäische Hund hielt erst durch die verwöhnten Mädchen, die die exklusiven Nonnenschulen in Beirut besuchten, in die Häuser der Notabeln Einzug. Er war anfangs von so kleinem Wuchs, dass man ihn auf den Arm nehmen und liebkosen konnte. Dies rief erst einmal keine allzu große Verwunderung hervor. Der große Schock kam erst, als wir auf der Hauptstraße einen jungen Burschen sahen, einen Bekannten, von dem wir angenommen hatten, er sei wie wir – war er doch, selbst wenn er sich für einige Zeit nicht im Dorf aufgehalten hatte, schließlich und endlich einer von uns. Er ging mit einem kurios aussehenden Hündchen an der Leine spazieren, eine Miniaturausgabe eines Hundes sozusagen, dem man einen winzigen bestickten Überwurf genäht und etwas um den Hals gehängt hatte. Noch schockierter aber waren wir, dass er sich gar nicht darum scherte, als einige von uns missbilligende Pfiffe ausstießen. Im Gegenteil. Vielleicht aus dem Wunsch heraus, uns zu provozieren, gab er dem Hündchen ein Zeichen, es sprang ihm auf den Arm, und der Bursche ging seines Weges, während das Tier mit seinen kleinen Äuglein verwundert über die Schulter seines Besitzers zu uns hinüberschaute. Es hatte wohl instinktiv gespürt, welche Gefahr von uns ausgehen könnte, und schmiegte sich schutzsuchend an sein Herrchen. Seit jenem Tag hegten wir Zweifel an der Männlichkeit des jungen Burschen, der uns die Gesellschaft eines Hündchens vorzog. Noch stärker aber hatten wir das Gefühl – auch wenn wir dies nicht öffentlich bekundeten –, dass sich die Welt veränderte und dass wir ihr nicht länger würden standhalten können.

XI
    Rastlos ließ Elia sich treiben in New York. Zwanzig Jahre oder länger. Einem kleinen Kinde gleich entdeckte er, wie es ist, alleine zu gehen, und kostete dies bis zur Neige aus. Ein Genuss wie jener, den der Schwimmer im Wasser verspürt. Kaum mehr als einen Monat hielt er es im Seminar für Maschinenbau in der Universität aus, in der er sich unmittelbar nach seiner Ankunft, seiner ursprünglichen Studienplanung folgend, immatrikuliert hatte. Die Vorlesungen der verstaubten Professoren erinnerten ihn aber allzu bald an die langweiligen Physikstunden in der Schule. Er brach seine Studien ab und nahm einen Job in einem Schnellimbiss in einem Vorort der Stadt an, ohne finanzielle Notwendigkeit, sondern einfach weil er eine

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