Morgen des Zorns
über die er Geschichten zum Besten gab, um die Phantasie seiner »Beute« anzustacheln und ihre Sehnsucht zu wecken, das Geheimnis dieses schlanken Orientalen zu enthüllen … Dass er nicht gleich mit ihr ins Bett ging – was sie auf seine Wohlerzogenheit zurückführte –, flößte ihr anfangs ein gewisses Vertrauen ein, doch es dauerte nicht lange, da fragte sie sich, ob seine Zurückhaltung womöglich ein Anzeichen dafür sei, dass Elia eine Unternehmung hinauszögere, die er nicht so geschickt beherrsche wie die Vorbereitung darauf.
Noch immer hatte er nicht das Alter der Tatenlosigkeit erreicht, noch immer starrte er mit lüsternen Blicken Studentinnen hinterher, die er altersmäßig um eineinhalb Jahrzehnte übertraf. Er knüpfte neue Beziehungen, ohne sie abzubrechen, knüpfte wieder neue und neue, bis er beinahe daran erstickte. Schließlich zog er seinen Kopf aus der eigenhändig geknoteten Schlinge, indem er die Beine in die Hand nahm und die Flucht ergriff. Männlichkeit besteht zu zwei Dritteln aus Flucht. Er fand kein Ende mehr bei einer Unterhaltung. Er entschuldigte sich, ersann eine Geschichte, stellte seine Erfindungsgabe unter Beweis, weil er unfähig war, eine Bindung abzubrechen, so flüchtig sie auch sein mochte. Wenn sein Gegenüber sich nicht von ihm verabschiedete, war er außerstande, sich aus der Klemme zu ziehen. Kaum hatte er das Gefühl, dass eine seiner »Eroberungen« mit ihm zusammen wohnen oder sich an ihn binden wollte, weil sie Hilfe brauchte und diese in der überschwänglichen Emotion dieses zungenfertigen Asiaten zu finden glaubte, da kehrte er ihr den Rücken, als habe er plötzlich Feuer unter dem Hintern. Aus Angst, er müsse das philippinische Mädchen bei sich aufnehmen, das fest entschlossen schien, ihn näher kennenzulernen, gab er sogar seine Wohnung in New York auf und zog in ein anderes Apartment. Selbst seine Telefonnummer änderte er ihretwegen.
Mit der Zeit hatte sich sein Spiel ausgespielt, und er verspürte den Wunsch, sich zur Ruhe zu setzen. Doch dann kam jener Tag, an dem er in der Abteilung für Nahoststudien und semitische Sprachen – einer seiner bevorzugten »Jagdgründe« – gerade mit der Abteilungssekretärin, Miss Davis, schäkerte, als er jene blonde Amerikanerin erblickte. Aus ihren Augen ließ sich nicht schließen, dass sie in der Stadt verloren war, und genau das war es, was ihn anzog. Sie schien New Yorkerin zu sein, und er malte sich ein Bild von ihr: glückliche Kindheit, einzige Tochter ihrer Eltern, lebte sie hier in der Stadt und praktizierte ihre Sexualität, ohne viel zu fragen. Er verfolgte sie bis in die Bibliothek hinein, wo es ihm gelang, sich neben sie zu setzen. Dann wartete er darauf, dass sie einen verstohlenen Blick auf sein Buch werfen würde: »Die perverse Geschichte des menschlichen Herzens« – auch dies eines seiner Arbeitsutensilien. Er schien auf diese Bewegung von ihr zu warten, um sich dann zu ihr umzudrehen und in einem einzigen Satz zu sagen, dass er glaube, dass sie eine Studentin der Arabischabteilung sei, dass er aber bezweifle, dass sie seine Einladung zum Abendessen am nächsten Dienstag annehmen werde, da sie auf den Ruf des baptistischen Mädchens bedacht sei, das in eine alteingesessene und integre Familie von Baltimore hineingeboren wurde, die ihren Genuss darauf beschränke – und hier hielt er ein anderes Buch in die Höhe, damit das Mädchen den Titel lesen konnte: »Diktionär der kleinen Genüsse« –, die ihren Genuss darauf beschränke, im Frühling in die Natur hinauszugehen, um Brombeeren zu pflücken – wenigstens einmal im Jahr ohne sich darum zu scheren, sich die Kleidung schmutzig zu machen.
Er sagte es ohne Pause, so dass er sich zum Ende hin beinahe verhaspelte. Dann ließ er ein nervöses Lachen folgen, um den Eindruck zu vermitteln, er spiele die Rolle eines professionellen Frauenhelden, der zwar vorbereitete Methoden der Kontaktaufnahme gegenüber dem anderen Geschlecht parat habe, in Wirklichkeit aber gar nicht so sei. Sein Spiel kam zu seiner Zeit. Das blonde Mädchen hatte gerade gute Laune und korrigierte ihn nicht, sondern antwortete, wie es sich gehört:
– Das Restaurant muss französisch sein, komm mit dem Taxi, denn selbst wenn du einen großen Schlitten besitzt, so bedeutet mir das nichts. Warte ab acht Uhr abends vor der Haustür auf mich, Arlington Street Nummer zwei. Ich werde mich womöglich eine halbe Stunde verspäten, vielleicht sogar absichtlich, um deine Geduld
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