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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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getroffen?, fragt Elia.
    – Ich habe gar nicht gewusst, dass ich getroffen war, bis ich aufgestanden bin, um wegzugehen. Da hab ich vor Schmerz wie am Spieß gebrüllt und das Blut von meinem Bein fließen sehen, Baba. Ich war bei den Frauen, ich weiß nicht, woher diese Kugel kam …
    – Wenn Sie irgendwelche Fotos von Burdsch al-Hawa haben, bin ich bereit, einen entsprechenden Preis dafür zu zahlen. Die Sache ist mir sehr wichtig …
    Alle wollen ihm Geld geben, sie können nicht glauben, dass ihm das alles egal ist.
    Er zögert ein wenig, er denkt an seinen nahenden Tod, an die Zuckerkrankheit, an die Emigration seiner Frau nach Kanada. Vor wem sollte er sich fürchten? Plötzlich sagt er zu Elia:
    – Guck mal, Baba, ich habe ein Gewissen …
    Er steht auf und holt eine Schachtel aus orangefarbenem Karton von einem der Regale.
    – Alle Fotos, die nicht von ihren Besitzern abgeholt worden sind, habe ich hier gesammelt und mir gesagt: Schau, Nischân, die Besitzer dieser Fotos haben den Preis vorab bezahlt. Ich habe fotografiert, Baba, und das Geld gleich bekommen, vielleicht erinnern sie sich daran und kommen, um sie einzufordern … Manche Leute sind gestorben, manche haben es vergessen, aber Nischân Davidijân hat ein Gewissen.
    Er wirft das orange Paket auf den Tisch.
    Nischân hat aber nicht nur jene Fotos aufbewahrt, die von ihren Auftraggebern nicht abgeholt worden sind. Er besitzt noch einen anderen Umschlag mit Fotografien, an den er sich jetzt erinnert. Früher hatte er ihn manchmal geöffnet, Fotos von Frauen, Fotos von zwei hübschen Mädchen, Fotos von Jorge. Eines Tages müsste er sie unbedingt jemandem zeigen. Wenn jemand zu ihm käme und danach fragte, Jorges Verwandte zum Beispiel, dann würde er ihnen alles geben.
    – Setzen Sie sich da hin, bitte, schauen Sie diese Fotos durch, das Geld dafür will ich nicht mehr haben, aber passen Sie auf, nehmen Sie keine Fotos von anderen …
    Wie jemand, der mit Heißhunger an einem gedeckten Tisch Platz nimmt, setzt Elia sich vor den Packen.

XIII
    – Der Laster ist da!
    Seit dem Morgen hatten wir auf ihn gewartet. Grölend waren wir zwischen dem Viertel und der Hauptstraße hin- und hergelaufen, wo er hatte halten sollen. Die Hauptstraße war die Grenze unserer Welt, zumal in jenen schwierigen Tagen.
    Kaum hatte der Laster die Kreuzung erreicht, da begannen wir kreischend vor ihm herzulaufen. Wir schrien die Passanten und Nachbarn an, als würden wir vor einem Feuerbrand davonlaufen. Wir riefen ihnen zu, sie sollten aus dem Weg gehen, während wir den Fahrer zum Haus lotsten. Der Laster versperrte die Straße, für die Fußgänger war kein Durchkommen mehr. Er war hoch und furchterregend.
    Auf der Ladefläche stand der Träger. Als der Laster den steilen Abhang erreichte, steckte der Fahrer den Kopf aus dem Fenster und schrie nun seinerseits uns an, aus dem Weg zu gehen, weil die Bremsen ihm womöglich nicht gehorchen würden. Inmitten des Motorenlärms rief er noch, dass er das Haus kenne und auf unsere Hilfe verzichten könne, doch wir scherten uns nicht um sein Geschrei und liefen dem Wagen weiter voraus.
    – Wo gehen die hin, Mama?
    – In ihr Viertel …
    – …
    – Anscheinend haben sie dort ein Haus gemietet.
    – Haben sie Verwandte da, wo sie hingehen?
    – Natürlich haben sie dort Verwandte, alle ihre Verwandten sind dort, ich sage dir doch, dass es ihr Viertel ist. Guck mal, wo deine Onkel wohnen! Wohnen sie nicht hier in unserer Nachbarschaft? Das ist unser Viertel, und ihr Viertel ist dort oben.
    – Werden sie nicht wieder hierher zurückkehren?
    – Weiß ich nicht, ich glaube nicht.
    – Und warum haben sie hier gewohnt, so weit weg von ihrer Familie?
    – …
    – Nehmen sie die Katze mit?
    – …
    Meine Mutter beantwortete nicht alle meine Fragen, und ich meinerseits tat, was mir beliebte. Ich wartete ihre Antworten gar nicht ab. Die Katze – sie hatte keinen Namen – hatte Vertrauen zu mir, ein kleines Kätzchen, das ich bis ans Ende der Welt mitnehmen würde. In der vergangenen Nacht hatte ich sie zu mir gelockt, sobald die Nachricht vom Fortgang der Familie die Runde gemacht hatte.
    Es hieß, Abu Dschamîl habe einen Boten geschickt, einen Boten, den niemand gesehen hatte; wahrscheinlich war er im Dunkel der Nacht eingetroffen und war mit der Nachricht zu Umm Dschamîl gekommen, sie solle ihre Sachen packen. Sich auf den Fortgang vorbereiten. Abu Dschamîl würde ihnen am nächsten Morgen einen Laster schicken, der den

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