Morgen des Zorns
an den Besitzer des benachbarten Grillrestaurants veräußern, der ihm mindestens einmal pro Woche ein Angebot macht. Die Möbel des Hauses wird sie nicht verkaufen, sondern, ohne etwas dafür zu verlangen, seiner Schwester überlassen, die in Beirut wohnt. Mehr als einmal hat er ihr gegenüber betont, sie möge seiner Schwester die Möbel geben und sie nicht verkaufen. Er weiß, dass seine Frau geizig ist. Er hat sie darum gebeten, ihn hier zu beerdigen, auf dem Friedhof der orthodoxen Armenier, wo er ein kleines Stück Boden gekauft hat. So wie man den Geruch der Menschen mag, die man liebt, mag er den Geruch dieser Stadt. Sie wird zu ihrem Sohn und dessen Familie gehen, die schon in Kanada sind. Hundert Jahre im Libanon sind genug für die Familie Davidijân, jetzt ist das ferne kalte Land an der Reihe.
Elia schaut herein. Während er mit der einen Hand die Tür offen hält, liest er von einem Stück Papier in seiner anderen einen Namen ab. Den Körper noch halb draußen, streckt er seinen Kopf vor, als blicke er in einen Brunnen. Davidijân hebt erst dann prüfend den Blick, als er seinen Namen vernimmt. Üblicherweise antwortet er den häufigen verirrten Fragestellern, die ihre offiziellen Papiere in den Händen halten, nur mit einer Geste oder einem flüchtigen Wort, ohne ihnen dabei ins Gesicht zu blicken. Seit langem schon betritt niemand mehr den Laden seines Besitzers wegen. Die Leute lassen sich im nur wenige Meter entfernten Automaten ablichten und öffnen seine Tür nur, um sich nach etwas zu erkundigen oder weil sie glauben, dass es im Laden einen Fotokopierer gibt.
– Ja, der ist da.
– Könnte ich wohl mit ihm sprechen?
Übertriebene Höflichkeit.
– Bitte, bitte, Habibi!
Er erkennt den Mann.
– Sie kommen aus Barka, nicht wahr?
Davidijân kennt sie, er erkennt sie an ihrer harten Aussprache und auch an ihren Blicken. Jene grausamen Blicke, wie damals, als sie die Kirche betraten.
– Ich bin auf der Suche nach Fotos!
– Fotos von wem, Baba?
Obwohl er hier geboren ist, spricht er immer noch kein korrektes Arabisch; oder aber er hat sich diese Anhängsel einfach angewöhnt: zwischen dem einen oder anderen Wort ein »Baba« oder ein »Habibi« am Ende des Satzes. Er macht das oft, um keinen Zweifel an seiner Identität aufkommen zu lassen, damit sie ihn für neutral halten.
– Fotos von Burdsch al-Hawa.
Vom Vorfall in Burdsch al-Hawa, aller Wahrscheinlichkeit nach. Derselbe Vorfall. Eine Stunde war er dort gewesen, das hatte sein ganzes Leben verändert. Für immer. Aber nichts wird Nischân Davidijân daran hindern, das Thema ein weiteres Mal zu meiden.
– Ich fotografiere hier Leute, Männer, Madames … Ich fotografieren nicht Dörfer, Baba. Suchen Sie einen Aquarellmaler, der Ihnen die Natur malen, die Dachziegel, es viel geben davon, fähige Schüler …
Ohne Absicht übertreibt er es mit dem armenischen Einschlag. Ihn überkommt ein altes Gefühl der Angst, so dass er sich in seinen Akzent flüchtet und sein Arabisch fast zu einem gebrochenen Stammeln wird.
– Sie waren an jenem Sonntag in Burdsch al-Hawa …
Als Nischân aus einem unerklärlichen Grund spürt, dass der Mann, den er da vor sich hat, ihm nichts Böses will, entspannt sich die Situation.
– Woher wissen Sie das?, unterbricht er ihn. Sie waren doch noch nicht geboren … Wie alt sind Sie, Habibi?
– Zweiundvierzig … Kennen Sie diese Karte?
Elia streckt ihm den kleinen Fetzen Papier hin, den er bei sich trägt.
Nischân nimmt Elia die Karte aus der Hand. Er lächelt. Ein kleines Stück Papier mit Namen, Anschrift und Telefonnummer, wie der Fotograf es jenen überreichte, die er dazu hatte überreden können, auf der Straße, bei Festen oder im Park vor seinem Objektiv zu posieren. Einen oder zwei Tage später würden sie damit zu ihm kommen, um die Abzüge in Empfang zu nehmen. Er nimmt die Bezahlung für das Foto entgegen und gibt ihnen dann die Karte. Das ist seine Garantie, dass man ihn nicht übers Ohr haut.
– Woher haben Sie das? Die Karte ist uuuralt …
– Sie befand sich in der Tasche meines Vaters, als er bei dem Vorfall in Burdsch al-Hawa getötet wurde …
Wir kommen niemals zu einem Ende mit dieser Geschichte.
So ungefähr denkt Nischân bei sich.
– Können Sie sich gut an den Tag erinnern?, fragt Elia.
Der alte Mann bückt sich, um sein Hosenbein hochzuziehen und die dünne weiße Wade zu entblößen.
– Guck, Habibi …
Er zeigt ihm eine kleine Narbe.
– Wie wurden Sie
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