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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Frauen. Meine Mutter fragte ihn, wie sie die Tomaten konservieren oder die Singer-Nähmaschine reparieren solle, und sie vertraute stets auf seine richtige Antwort. Obwohl er ein Angestellter der Sicherheitskräfte gewesen war – gewiss, es war ein Verwaltungsjob gewesen, denn einmal hatte er uns erzählt, dass er etwas in Empfang nehme, was er »Telegramme« nannte, Berichte also, die er an den verantwortlichen Offizier weiterleitete –, war Abu Dschamîl demnach nicht wirklich in die Sphäre der Männlichkeit eingetreten. Er scherte sich jedoch nicht darum, sondern war vollkommen zufrieden mit sich.
    Er war also nicht in die Sphäre der Männlichkeit eingetreten, doch er gehörte zur Râmi-Familie. Sein Name wog schwer, auch für ihn, und das konnte nicht unbeachtet bleiben.
    Wir wussten nicht genau, wie alles gekommen war. Zuerst hieß es, dass jemand des Nachts bei ihnen vorbeigekommen sei nach dem Vorfall von Burdsch al-Hawa.Es war jemand zu ihnen gekommen, der sie warnte und ihnen bedeutete, dass sie unbedingt von hier fortziehen müssten. Wir werden nicht in der Lage sein, euch zu schützen, hatte er ihnen gesagt. So hatten sie Abu Dschamîl also gedroht. Man erzählte uns auch, dass jemand einen Stein gegen ihre Fensterscheibe geworfen habe, so dass sie in Scherben gegangen sei, ein-, nein, sogar zweimal. Außerdem verbreitete sich das Gerücht, sie hätten ein Zeichen als Warnung an ihrer Tür entdeckt, aber als wir die Tür untersuchten, fanden wir nichts. Auch die zerbrochene Fensterscheibe suchten wir und konnten sie nicht finden. Trotzdem waren sie fest entschlossen fortzugehen.
    Der Träger war fertig, er hatte den ganzen Hausrat auf den Laster gezwängt. Den Mörser, in dem man das Fleisch für die gefüllten Weizengrützenbällchen stampft, hatte er nicht hochheben können; es war ein massiver Mörser aus rotem Porphyr.
    – Lass ihn stehen!, sagte Umm Dschamîl.
    Niemand bot sich an, um zu helfen.
    Der Träger sortierte die Gegenstände, nach Größe und Zerbrechlichkeit. Fremde Hilfe bestand lediglich aus Ratschlägen: Stell nicht Holz auf Holz, steck besser ein Kissen dazwischen, das da steht nicht richtig, das kann euch auf dem Weg runterfallen. Der Transport von Möbeln erfordert Geschick und Erfahrung. Der Träger befolgte die Anweisungen, ohne sich darum zu kümmern, von wem die Ratschläge kamen. Immer hatten die Leute aus dem Viertel ein Wort mitzureden gehabt bei den Angelegenheiten im Haus von Abu Dschamîl, eine offene Diskussion über die Studienwahl der Kinder, darüber, welche Ärzte man aufsuchen sollte, über die frühzeitige Pensionierung Abu Dschamîls, und heute gaben die Nachbarn nun während des Aufbruchs ihre Meinungen zum Besten.
    Wir waren überrascht, wie all die Gegenstände, die man zum Essen, Kaffeetrinken, Picknicken und Schlafen braucht, das Flüstern der Frauen über intime Angelegenheiten und das nächtliche Beisammensitzen in heißen Sommernächten, das Lärmen der Kinder, das erst abbricht, wenn sie schlafen gehen, die morgendlichen Kaffeerunden, das Radio, das Lachen, das Weinen, eben alles, was das Leben ausmacht, welches im Haus von Abu Dschamîl pulsiert hatte, von einem einzigen Mann herausgebracht und auf diese kleine Fläche gestopft werden konnte. Als er alles zusammengepfercht hatte, beendete er seine Arbeit, indem er die Sachen festband. Zum ersten Mal bat er darum, man möge ihm helfen, das Seil richtig festzuzurren. Er knotete alles zusammen, setzte sich obendrauf und wartete, nun seinerseits uns anblickend.
    Umm Dschamîl schloss Fenster und Türen. Der Fahrer ließ den Motor an. Dann schaute Umm Dschamîl die Nachbarn an und sagte:
    – Verzeiht uns, wenn wir etwas falsch gemacht haben.
    Das war alles. Ich glaube aber, ihr gingen viele Dinge durch den Kopf, die sie nicht aussprach. Vielleicht hatte sie erwartet, dass die Leute aus dem Viertel sie zurückhalten würden.
    Der Laster fuhr langsam vorwärts, um aus den engen Gassen hinauszukommen. Diesmal wurden wir nicht von dem Ehrgefühl gepackt, dem Fahrer den Weg zu zeigen. Wir standen versprengt herum, und das Geschehen spielte sich nun hinter dem Laster ab. Umm Dschamîl und ihre Kinder gingen zu Fuß hinterher, in Hauskleidung und leichtem Schuhwerk, wie sie es täglich trugen. Bei der ersten Kreuzung verschwand der Laster, und sie folgten ihm weiter.
    Ich machte mich von meiner Mutter los und lief hinter ihnen her:
    – Lauft nicht zu weit weg!, riefen uns unsere Mütter zu.
    Wir Kinder folgten

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