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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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der Familie, in gebührlichem Abstand. Jeder in seiner Rolle, sie gingen fort, ohne Wiederkehr, und wir gaben ihnen Geleit. Dalâl, deren Körper schneller gewachsen war als ihr Verstand, begleitete uns Kinder. Die Nachbarn auf den Balkonen und auf der Straße blieben einfach schweigend stehen, nachdem der Laster fort und auch Umm Dschamîl mit ihren Kindern an der Kreuzung verschwunden war. Sie standen da und starrten auf die nun verschlossene Tür.
    Wir gingen schweigend hinter ihnen. Manchmal drehten sich Umm Dschamîls Kinder um, dann forderte ihre Mutter sie auf weiterzugehen. Als sie kurz davor waren, auf der Straße, die zum Oberen Viertel führte, zu verschwinden, das heißt, bevor sie die Hauptstraße überquerten, drehten sich alle um und schauten uns an, auch die Mutter. Sie drehten sich einfach um, sie winkten nicht und sagten kein Wort, dann setzten sie ihren Weg fort. Wir sahen uns an und gingen auseinander, zurück in unser Viertel. Aber Dalâl ging weiter. Dalâl war bestürzt, sie setzte ihren Weg fort, ging hinter dem Laster her, bis wir sie riefen und aufforderten, zurückzukommen. Da blieb sie einen Augenblick verwirrt mitten auf der Straße stehen, dann machte sie kehrt. Trotz ihres massigen Körpers kannte Dalâl die Grenzen unseres Viertels nicht, sie wurde auch nicht in gleichem Maße wie wir ermahnt, die Hauptstraße nicht zu überqueren; vielleicht fürchtete wegen ihrer Einfältigkeit niemand, sie könnte gefährdet sein.
    Die Katze war willensstärker als Dalâl. Ich ging nach Hause, und da sich der Kreis der Schaulustigen aufgelöst hatte, steuerte ich geradewegs auf das Fass zu. Ich hörte ihr Miauen. Sie war nicht tot. Als ich den Deckel hob, sprang sie mich an und blinzelte, vom plötzlichen Tageslicht geblendet, mit den Augen. Sie sprang auf den Boden, blickte sich um, machte sich bereit, schnupperte und fauchte, dann begann sie zu laufen, sehr schnell zu laufen. Ich folgte ihr so rasch ich konnte, doch ich bekam sie nicht zu packen. Sie nahm den gleichen Weg, den Weg des Lasters, den Weg, den Umm Dschamîl und ihre Kinder genommen hatten. Nicht einen Augenblick blieb sie vor der Tür ihres ehemaligen Zuhause stehen, sie drehte sich nicht einmal um, ganz als hätte sie das Haus niemals betreten, sondern bog gleich um die Ecke nach oben und erreichte die Hauptstraße, bis zu der sie vorher noch nie gekommen war. Wie ein Pfeil überquerte sie die Straße, als habe sie das täglich getan, und lief weiter in die Richtung, in der der Laster verschwunden war, mit dem Träger auf der Ladefläche, seine kupferne Nummer 64 auf dem Rücken.
    Plötzlich und unvermittelt, etwa zwei Wochen nachdem Abu Dschamîls Familie das Viertel verlassen hatte, kamen zwei Männer zu dem leeren Haus. Sie bearbeiteten die Tür mit einem scharfen Gegenstand, bis sie sich öffnete. Ich eilte zu meiner Mutter und musste feststellen, dass sie bereits wusste, was da vor sich ging. Ich war überrascht – und bin es noch –, wie lautlos sich die Neuigkeiten verbreiteten. Ich hätte meine Mutter so gerne gefragt, warum andere Leute das Haus von Abu Dschamîl in Besitz nahmen. Das Haus der Familie von Abu Dschamîl, die ich später noch einmal gesehen habe, dort, wohin sie geflüchtet waren. Ich ging eines Tages an ihrem neuen Haus vorbei. Sie mögen Häuser mit Freiflächen davor. Ich sah, wie sie am frühen Abend auf Holzstühlen saßen und glücklich lachend Kaffee tranken. Abu Dschamîl erblickte ich nicht, als ich dort vorbeiging. Sicher streifte er um diese Tageszeit durch die Häuser der Nachbarn, seiner neuen Nachbarn, angetan mit seinem Schlafrock über dem Pyjama. Das Haus von Abu Dschamîl war nicht in der Fremde, im Exil, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie hatten sich ein neues Leben aufgebaut, ohne uns, weit von uns entfernt. Ich hatte geglaubt, sie würden den Fortgang aus unserem Viertel nicht verwinden und ihre Tage wären voll der Trauer und der Sehnsucht nach uns. Tatsächlich war ich eifersüchtig. Es behagte mir nicht, dass Abu Dschamîls Familie ohne uns glücklich war. Mein einziger Trost bestand darin, dass man uns erzählte, Abu Dschamîl vermiete in seinem neuen Viertel keine Fahrräder mehr, er habe es zwar versucht, doch nachdem einer seiner kleinen Kunden in einen Unfall verwickelt worden sei, bei dem er sich beide Beine brach, habe er seine Fahrräder verkauft. Ich wollte nicht, dass es Abu Dschamîls Familie an ihrem neuen Wohnort wohl erging, aber zugleich gestand ich mir auch nicht

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