Morgen des Zorns
lieben.
So sagte sie.
Sie hatte ihn später geliebt, sehr sogar. Je mehr ihre Hoffnung geschwunden war, Kinder zu bekommen, desto stärker hatte sie sich an ihn geklammert. Davor hatten sie ihre Kleider zu einem Bündel zusammengeschnürt und sie damit durch die Hintertür geschmuggelt, damit ihre Mutter keinen Einspruch erheben konnte. Denn ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass die älteste Tochter zuerst heiratete, immer schön der Reihe nach! Aber Kâmleh hatte sich entführen lassen, und es war kaum ein Monat vergangen, da war ihre Mutter schon versöhnt.
Er war durch zwei Kugeln zu Tode gekommen. Es hieß, sie hätten ihm noch nicht einmal die Chance gelassen, seinen Revolver zu ziehen. Jemand habe ihn beim Namen gerufen, er habe sich umgedreht, da sei schon auf ihn geschossen worden, aus mehr als einer Pistole. Sie behaupteten, derjenige, der ihn beim Namen gerufen habe, damit er sich umdrehe, sei nicht derselbe gewesen, der auf ihn geschossen habe. Er hatte ihr nur das Haus hinterlassen, in dem sie wohnte, die Familie hatte ihr Geld angeboten, Spenden von Wohlhabenden oder im Ausland lebenden Verwandten, doch sie hatte dankend abgelehnt. Von den Frauen, deren Männer in Burdsch al-Hawa getötet worden waren, war sie die einzige, die die Entschädigung abgelehnt hatte. Sie hatte kein Geld für ihn gewollt. Ab heute würde sie die schwarze Kleidung nicht mehr ablegen. Sie würde sich keine Kleider kaufen, sie würde dahin zurückkehren, wo sie immer hatte bleiben wollen, hier, wo sie sie vergessen würden, wo sie auf ihrem Balkon sitzen und mit Muntaha Kaffee trinken konnte. Sie würde Blumen pflanzen, sie würde sie gießen und mit ihnen sprechen. Ihr Körper würde ihr gehören, niemand würde in ihn eindringen, und sie würde nichts von ihm verlangen …
Doch der Waffenstillstand ihres Lebens dauerte nicht lange.
Einen Monat, mehr nicht.
Dann kam die Warnung, und sie nahm den Kampf wieder auf. Die Warnung ging von ihrem eigenen Körper aus, von dem sie geglaubt hatte, sie habe Ruhe vor ihm gefunden. Tag für Tag hatte sie stärker das Gefühl, dass da etwas in ihr erwachte, als ob ihr Körper ihr irgendwie entglitte. Die Monatsblutung verspätete sich. Ganz plötzlich stellten sich starke Kopfschmerzen ein, täglich, wenn der Abend anbrach. Sie schob alles auf die Trauer. Doch die Anzeichen einer Schwangerschaft mehrten sich, und sie wollte es nicht glauben. Sie weigerte sich einfach.
Die erste, die es bemerkte, war Jasmin. Ihre Schwester, die in Beirut verheiratet war. Jedes Mal, wenn sie sie besuchen kam, weinte sie sich bei ihr aus. Ihr Mann kam niemals mit – er setzte sie allein in ein Taxi –, außerdem erlaubte er es nicht, dass sie auch nur eines ihrer Kinder mitbrachte.
– Weit weg von euch zu sein, ist ein Segen!, pflegte er zu ihr zu sagen.
»Von euch« hieß, von dem Ort, in dem seine Frau geboren war, weit weg von ihrer Familie.
Sie wiederum sagte, ihr gehe das Herz auf, sobald das Auto den Chekka-Tunnel verließ und sich der Blick nach Norden vor ihr auftat. In diesem Moment kurbelte sie das Fenster herunter, um tief Luft zu holen. Doch wenn sie dann ihre Schwester Kâmleh sehe, werde sie von Kummer überwältigt:
– Glück ist nur was für Flittchen, unser Los liegt in Gottes Hand.
Sie schimpfte mit ihr, sie solle sich die Haare kämmen, ihren Körper pflegen und anständig essen. Und sie sagte, dass sogar die Frauen im Alter ihrer Mutter nicht aufgehört hätten, sich um ein elegantes Äußeres zu bemühen.
Die Schwangerschaftsgelüste hatten Kâmleh verraten.
– Ich habe Lust auf frische Datteln, Jasmin!
– Wie kommst du denn jetzt auf Datteln, außerhalb der Saison?
Jasmin blickte sie prüfend an, überlegte einen Moment und fragte dann:
– Bist du schwanger, Kâmleh?
Kâmleh lächelte amüsiert.
Sie war nicht schwanger. Doch was geschah nur mit ihr?
– Wie sollte ich denn schwanger sein?
– Und warum solltest du nicht schwanger sein, Schwesterchen?
– Aber von wem sollte ich schwanger sein?, schrie Kâmleh.
– Von deinem Mann natürlich!, schrie Jasmin zurück. Seit seinem Tod ist doch erst ein Monat vergangen, oder?
Kâmleh wurde nachdenklich.
– Nein, unmöglich, das kann nicht sein!
– Sag mal, wann hast du zuletzt mit ihm geschlafen?
Kâmleh spürte ein Brennen in der Kehle.
– Am Samstag. Sonntag haben sie ihn umgebracht.
– Soll ich bei dir bleiben? Ich fahre nach Hause, regele dort alles und komme dann zu dir zurück.
Kâmleh lehnte
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