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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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nicht zu sprechen. Sie fürchtete, die Leute könnten sich über sie lustig machen, wenn sich herausstellte, dass sie sich die Schwangerschaft nur eingebildet hatte. Muntaha erzählte ihr, man hätte auf dem Dach der Nonnenschule eine Barrikade errichtet. Übereinandergestapelte Sandsäcke, die allmorgendlich mit Wasser übergossen wurden, damit die Kugeln nicht so leicht hindurchdringen konnten. Und sie erzählte ihr, dass Pater Antonius in der Predigt nach dem Evangelium gesagt hatte: »Betet, meine Kinder, betet ein ›Vaterunser‹ und ein ›Gegrüßet seist du, Maria‹, auf dass Gott uns gegen unsere Feinde beistehen möge.«
    Sie akzeptierte die Wahrheit nicht, bis ihr Bauch sich nach vorne wölbte. Und trotzdem:
    – Vielleicht ist er nur voller Wasser.
    – Wasser?
    – Ich glaube einfach nicht, dass ich schwanger bin, Mama, ich glaube es nicht … Wie konnte das geschehen? Was hast du mit mir gemacht?
    Sie würde ein Kind haben. Ihr Blut wallte vor Freude, doch gleich darauf spürte sie einen Stich im Magen. Sie bekam es mit der Angst zu tun. All die Nachrichten, die kursierten, machten ihr Angst, jeder Schusswechsel löste ein Zittern bei ihr aus. Sie war nicht mehr allein.
    – Verflucht seist du, Kâmleh! Du hast nicht auf mich gehört. Jetzt kannst du zusehen, wie du die bösen Zungen wieder zum Schweigen bringst …
    – Was soll ich denn tun, Mama?
    – Gar nichts. Du musst jetzt richtig essen und dich ausruhen … Scher dich nicht um sie.
    Die Nachricht verbreitete sich und mit ihr der Tratsch.
    Man begann Fragen zu stellen.
    Erbarmungslose Fragen, die ihr entgegenstürmten, sie quälten.
    Woher hatte sie es?
    Fünfzehn Jahre keine Kinder, dann starb ihr Mann, und schon war sie schwanger. Wie konnte das angehen?
    Sie zog es vor, sich zu Hause zu verstecken, tief drinnen, sie hütete sich sogar davor, auf den Balkon zu gehen. Nur ihre Mutter kam sie besuchen, ihre Mutter und Muntaha. Und ihre Schwester Jasmin, wenn ihr Mann sie fahren ließ. Ihre Mutter brachte ihr alles, was sie brauchte.
    – Geh nicht aus dem Haus, ich kümmere mich um alles.
    Muntaha brachte Neuigkeiten mit, was man sich draußen so erzählte, in der Nachbarschaft. Muntaha brachte auch Nachrichten vom Kampf mit, meistens zitternd vor Angst. Eines Tages sagte sie:
    – Kâmleh, du wirst es nicht glauben, die fangen an, die Frauen zurückzuschicken.
    – Die Frauen zurückzuschicken?
    – Ja, wirklich, ich habe Angst um meine Mutter.
    Ihre Mutter war aus der Râmi-Familie.
    – Sie haben ihr gegenüber im Viertel schon solche Andeutungen gemacht.
    – Wer?
    – Ich weiß nicht, wer. Auf jeden Fall behaupten sie, sie würde ihrer Familie oben Botschaften zukommen lassen …
    – Was für Botschaften?
    – Ich weiß nicht, Kâmleh, sie sagen, »sie schickt denen Botschaften« …
    – Geht deine Mutter ihre Familie dort im Viertel besuchen?
    – Ihr Fehler war, dass sie nach dem Vorfall von Burdsch al-Hawa einmal zu ihnen gegangen ist. Seitdem lassen sie sie nicht mehr in Frieden. Immer wenn sie sie auf der Straße treffen oder an unserem Haus vorbeigehen, beschimpfen sie die Râmi-Familie und beleidigen ihre Toten. Meine Mutter weint und sagt: »Ich gehöre zu ihnen, mein Mann gehört zu ihnen und meine Kinder gehören zu ihnen. Warum sagen sie so etwas zu mir?«
    Muntaha schlug sich mit der Hand gegen die Brust und fragte:
    – Wohin soll meine Mutter denn gehen, wenn sie sie aus ihrem Haus jagen?
    Kâmleh antwortete nicht. Muntaha seufzte tief und hob verzweifelt die Arme über den Kopf.
    Der Geburtstermin rückte heran, aber Elia verspätete sich. Das Militär traf erneut im Ort ein. Aus Mitgliedern beider Parteien wurde ein Komitee ins Leben gerufen, das durch die Straßen zog und den Abbau der Barrikaden überwachte. Das Feuer wurde eingestellt, die Anschläge aus dem Hinterhalt hörten auf. Der Oberbefehlshaber des Militärs, der neutral geblieben war, wurde zum Präsidenten der Republik gewählt. So hatten es die Amerikaner gewollt und Abdel Nasser. Es begann das Gerede über das Gesetz des »Weder Sieger noch Besiegter«. Die Revolution war zu Ende, und das Leben kehrte zurück. Ab jetzt würde die Leute nichts mehr von Kâmleh ablenken, keine Ermordeten und keine Verwundeten. Sie würden sich das Maul über sie zerreißen.
    Er verspätete sich um zehn Tage. Er wurde als großes, schweres Baby geboren, mit einem großen Kopf.
    Der Traum ihres Lebens, ein Junge. Ihre Mutter brachte ihr bei, wie sie ihn halten, wie sie seinen

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