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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Tasche gewesen war, als er verschwand.
    »Das gehört Louis«, murmelte ich mit trockenen Lippen. Silver nickte und meinte: »Wir dachten uns schon so etwas.« Als ich aber meine Hand danach ausstreckte, wollte er es mir nicht geben. »Tut mir leid, Kindchen, aber wir brauchen es für die Spurensicherung.« Und wieder nahm es mir den Atem.
    Ich versuchte es. Gott, wie ich es versuchte. Ich kämpfte um Luft, doch meine Brust fühlte sich an, als würde jemand darauf knien. Ich verschüttete den ganzen Tee, dann tastete ich nach meinem Spray, aber dieses Mal funktionierte es nicht. Ich keuchte wie eine Dampflokomotive. Deb versuchte, mir zu helfen, doch ich konnte einfach nicht atmen. Irgendetwas hüllte mich ein, dann war die Welt eine Sekunde lang ganz in Schwärze getaucht.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag wachte ich auf und wusste nicht, wo ich war. Als ich versuchte, mich aufzurichten, konnte ich nicht, weil die Sauerstoffmaske auf meinem Gesicht mich zurückhielt. Ein Sanitäter mit freundlichem Schafsgesicht beugte sich über mich, lächelte mich an und sagte: »Keine Panik, meine Liebe. Sie sind hier mit mir im Krankenwagen.« Er nahm mir die Maske ab und meinte: »Schön, dass Sie wieder unter uns weilen, Mädchen. Wie geht es Ihnen denn?« Dann stand Deb da und nahm meine Hand. Auf einmal fiel mir ein, dass Robbie tot war. Diese Erkenntnis war, als habe mir jemand etwas über den Schädel gezogen. Der ohnehin schon vor Schmerzen zerspringen wollte.
    Der Sanitäter maß noch Puls und Blutdruck, dann meinte er, ich sei wohl in Ordnung, Deb könne mich nach Hause bringen. Aber ich wollte nicht in mein leeres Haus zurück, nicht solange Louis noch verschwunden war, nicht solange er hier in der Nähe vermutet wurde. Nicht solange – bei diesem Gedanken zog sich mir alles zusammen – Robbie in irgendeinem grässlichen Leichenschauhaus hier in der Gegend lag. Also ging Deb weg. Als sie wiederkam, sagte sie, man habe mich in dem Hotel untergebracht, in dem ich bereits eine Nacht verbracht hatte. Leigh, so meinte sie, sei über Robbies Tod informiert worden. Sie habe mit ihr am Telefon gesprochen. Leigh würde meiner armen Mutter Bescheid geben. Meine Mutter. Ich weigerte mich, mir ihren Schmerz vorzustellen.
    Im Hotel ließ Deb mir ein heißes Bad ein. Ich holte mir ein Bier aus der Minibar, das ich zu den von Deb bestellten Sandwiches trinken wollte, aber Deb ließ mich nicht trinken. Es würde sich nicht mit den Schmerztabletten vertragen, meinte sie. Also legte ich mich ins heiße Wasser, so heiß, dass ich mich fast verbrannte. So heiß, dass ich mich damit strafen konnte, dass sich mein Kummer darin auflöste. Ich dachte nur noch an Robbie. Der Dampf vernebelte mir den Blick, sodass ich umso deutlicher spürte, was in meinem Inneren vorging. Ich fühlte mich schuldig. Schlimmere Schuldgefühle, als ich sie je gehabt hatte.
    Als ich wieder aus dem Wasser krabbelte, war meine Haut rot wie die eines Krebses. Mir war vor Kummer schlecht, und ich hatte Angst, zu Bett zu gehen. Ich würde nie wieder schlafen können. Immer noch sah ich Robbie da im Dunkeln liegen. Oder Louis, der in irgendeinem Wandschrank versteckt war. Also blieb Deb bei mir. Wir saßen zusammen auf dem Doppelbett und tranken Tee, während wir irgendwelche blöden Fernsehsendungen anschauten. Schließlich rief ich Leigh an. Ich hatte es immer wieder aufgeschoben, weil ich nicht wagte, die entscheidenden Worte laut auszusprechen. Auch sie lag kettenrauchend wach. Der Schock hatte sie zu Eis erstarren lassen. Ich wusste das. Und sie hatte mit meiner Mutter gesprochen.
    »Sie kommt zurück. Mit George. Sie … na ja, jedenfalls hat es keinen Sinn, jetzt mit ihr zu reden, Jess. Du hast ohnehin schon genug um die Ohren. Sie ist am Boden zerstört. Wenigstens …« Leighs Stimme versagte. Ich wusste, dass sie gegen die Tränen kämpfte.
    »Wenigstens was?«
    »Wenigstens …«Ihr Feuerzeug klickte. »… hat er jetzt Frieden.« Sie nahm einen tiefen Zug. »Jesus, Jess. Ich kann nicht glauben, wie sehr er sein Leben in den Sand gesetzt hat.«
    »Lass es doch, Leigh. Wenigstens für jetzt. Geht das?«
    »Aber …«
    »Aber was?«
    »Ich fühle mich so verdammt schuldig, Jess«, sagte sie leise, und ich hörte, wie ihre Stimme brach.
    »Ich weiß, was du meinst«, antwortete ich. Dann schwiegen wir, bis ich hörte, wie sie sich räusperte. »Und Louis?«
    Ich nahm einen Schluck von meinem Tee, um mich zu beruhigen. »Ich weiß nicht. Silver ist immer noch

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