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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Mama und Papa hier? Maxine meinte, Leigh habe sie mal hierher gebracht, was ich merkwürdig fand. Weißt du noch, wie du dein Eis auf den Typen hast fallen lassen, der unten am Kai stand? Den mit der Glatze? Das war ein echter Treffer! Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel gelacht. Auch später nicht mehr, wenn ich so darüber nachdenke. Eigentlich ist das traurig. Wir hatten so viel Spaß zusammenfindest du nicht? Du und ich? Genau das habe ich Maxine auch gesagt. Jetzt gerate ich wohl ins Plaudern. Mein verdammter Stift geht auch nicht mehr …
    Ich habe einen Bleistift gefunden. Aber er geht nicht so besonders. Wenn du das in Händen hältst, bin ich weg, und du hast Louis wieder. Ich möchte nur, dass du weißt, wie leid es mir tut, dass ich dich schon wieder im Stich lasse. Ich weiß, dass du immer an mich geglaubt hast, aber ich hab ’s wohl vermasselt?
    Bitte sag auch Mama und Leigh, wie leid es mir tut. Und gib Louis einen dicken Kuss von mir. Sag ihm, dass er nicht so werden darf wie Onkel Robbie. Sonst komme ich und hole ihn!
    Alles Liebe
    Robbie
     
    Ich saß im Dunkeln und presste den Brief an meine Brust. Im Geiste spürte ich neben mir den achtjährigen Robbie, meinen kleinen Bruder, der Donkey Kong spielte. Er hatte die Kapuze seines Parkas auf dem Kopf, der Pelzbesatz stand ab wie ein flaumiger Heiligenschein. Mein Vater saß neben ihm, die Füße auf dem Tisch, und strich in der Zeitung Pferde an, die sicher beim Rennen gewinnen würden. Er nagte an seinem Bleistiftstummel und pfiff »Wild Thing«. Mein eigenes Baby, aus Fleisch und Blut, aber lag auf der anderen Seite des Zimmers. Ich hörte ihn atmen. Er war endlich in Sicherheit.

 
Kapitel 28
     
    Die Polizei brachte mein Auto zurück, und so fuhr ich zu Leigh hinüber, um meine Mutter zu sehen. Vielleicht würde Louis sie ja aufheitern. Ich nahm ihn ohnehin überall mit. Wir waren unzertrennlich. Als ich den Weg hinabfuhr, drehte ich mich ständig nach ihm um. Dauernd sah ich verwundert über meine Schulter und sagte Hallo zu ihm. Leider geriet ich dabei ständig aus der Spur, sodass ich am Ende doch konzentriert geradeaus sah.
    Ein Blick in das verwüstete Gesicht meiner Mutter, auf den überquellenden Aschenbecher und das große Glas Gin, das daneben auf sie wartete, sagte mir, dass ich diese Schlacht nie gewinnen würde. Die Luft war dick vom kalten Rauch und von der Trauer, die so greifbar war, dass man fast erwartete, sie von den Wänden tropfen zu sehen. Die ganze Zeit, die wir dort waren, lächelte meine Mutter nur ein einziges Mal. Ein eher schwaches Lächeln. Den glucksenden Louis nahm sie gar nicht zur Kenntnis. Nichts würde sie je aus ihrer Trauer herausreißen. Ich zeigte ihr Robbies Brief, doch sie vergoss nur noch mehr Tränen und zündete sich noch eine Zigarette an.
    »Mama«, sagte ich und nahm ihre Hand. Erschrocken bemerkte ich, wie alt sie sich anfühlte. Die Haut auf dem Handrücken war ganz weich und faltig geworden. »Es tut mir so leid, Mama. Ich … ich weiß nicht, ob ich wirklich weiß, wie es dir jetzt geht.« Ich spürte den dumpfen Schmerz unter den Rippen, jenen Schmerz, der sich dort eingenistet hatte, seit ich Robbies toten Körper sah. »Aber vorstellen kann ich es mir.« Es war schlimm genug, meinen Bruder zu verlieren. Mir vorzustellen, ich hätte mein Kind verloren, nahm mir schier den Atem.
    »Was habe ich nur falsch gemacht, Jessie? Was?« Sie sah mich an, und ich bemerkte, wie in ihren Augen die nicht vergossenen Tränen glitzerten. »Ich habe dich im Stich gelassen. Das ist mir jetzt klar. Ich war keine besonders gute Mutter.« Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, wobei die Linien um ihren Mund sich noch tiefer eingruben. »Ich weiß es ja schon lange, dass ich alles vermasselt habe.«
    »Nein, Mama, das stimmt nicht. Du hast dein Bestes getan.« Vermutlich war das sogar richtig.
    »Habe ich das?« Sie sah mich dankbar an. »Ja, das habe ich, oder nicht? Ich habe es zumindest versucht. Es ist nur – dein Vater. Es war alles so schwierig, weißt du. Mit alldem fertig zu werden.«
    Ich wusste das: Wie sehr ich meinen Vater auch geliebt hatte, es muss die Hölle gewesen sein, mit ihm verheiratet zu sein.
    »Ich hätte ihn schon lange vor dem Ende wegschicken sollen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er zuerst seinen Kram auf die Reihe kriegen muss. Es ist nur …« Sie lächelte fast. Ein beinahe verträumter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Dein Vater hatte etwas

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